Platonismus und Mystik im Altertum.
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Seiendes zum Zwecke des Werdens nur spiegeln kann. Er ist nicht
Gegenstand der Erkenntnis, sondern nur Hilfsmittel für sinnliche
Wahrnehmung. Er ist das Nichtseiende an den Dingen, die Nicht-
form, das Leere. Und trotzdem kann bei Platon nicht von einem
Versinken der Raumwelt ins grundlose Nichts gesprochen werden;
denn der Raum muß immerhin, und gerade wegen seiner schlecht-
liinnigen Negativität, als eine Art von Prinzip für das Sinnliche
und noch als Grenzbegriff von Seiendem, als Seins-Schein eines
Nicht-Seienden, gedacht werden. Wie Echo und Spiegelbild für
sich wesenlos sind, aber am Spiegel die Fläche, am Echo die Wand
etwas die Spiegelung Ermöglichendes, also insofern — trotz ihrer
eigenen Leerheit —- etwas Faßbares darstellen, so bietet auch der
Raum eine Möglichkeit, an der das Denken einen Halt findet: Der
Raum läßt sich begreifen als das, was zwar selber nichts zeugen, aber
das Mathematische ermöglichen, nämlich quantitative Bestimmung
erleiden kann. Restlos unfaßbar wäre nur der Unhegriff barer
‘Materie’; denn sie wäre, als das unausgesetzt Wechselnde, ohne
Form, ohne Bestimmtheit, ohne Dauer und irgendwelches Sein.
Daher kann es für Platon materielle Elemente oder Atome als
Konstituentien einer Wirklichkeit nicht geben, wohl aber mathe-
matische Grundformen, deren System im Raume als Inbegriff geo-
metrischer und stereometrischer Möglichkeiten der Körperbildung
niedergelegt werden konnte1. Wahrheit ist in mathematischer
Form dem Raume gleichsam leihweise übergeben; wie er auch
physikalisch die Funktion des guvoutiov für alles bewegte Ge-
schehen in ihm ausübt2. So bedeutet die Raumwelt für den genuinen
Platonismus mehr als für die Mystik; sofern das ‘Corpus’ mathe-
matisch als ‘Spatium’ begriffen werden kann3, ist für Platon die
Erscheinung bereits in einem Sinne gerettet, der ein bedeutsames
Prinzip der cartesischen Körperlehre vorwegnimmt. Anderer-
1 Tim. 31bff. Dazu Eva Sachs, Die fünf Platonischen Körper (Philolog.
Untersuchungen XXIV) 1917, S. 223ff.
2 Tim. 46c; 48 a.
3 Über die Verwandtschaft des Platonischen und Cartesischen Prinzips
s. E. Cassirer in Dessoirs Lehrbuch der Geschichte der Philosophie S. 123.
Doch muß auch auf den grundsätzlichen Unterschied zwischen Platonischer
und Cartesischer Körperwelt aufmerksam gemacht werden: Der Begriff des
sichtbaren Kosmos ist für Platon zugleich ein Qualitätsbegriff; die mathe-
matische, quantitative Bestimmtheit ist ein Quäle in allerhöchstem Sinne.
Bei Descartes aber ist das Quäle dem mechanistischen Gedanken zum Opfer
gefallen.
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Seiendes zum Zwecke des Werdens nur spiegeln kann. Er ist nicht
Gegenstand der Erkenntnis, sondern nur Hilfsmittel für sinnliche
Wahrnehmung. Er ist das Nichtseiende an den Dingen, die Nicht-
form, das Leere. Und trotzdem kann bei Platon nicht von einem
Versinken der Raumwelt ins grundlose Nichts gesprochen werden;
denn der Raum muß immerhin, und gerade wegen seiner schlecht-
liinnigen Negativität, als eine Art von Prinzip für das Sinnliche
und noch als Grenzbegriff von Seiendem, als Seins-Schein eines
Nicht-Seienden, gedacht werden. Wie Echo und Spiegelbild für
sich wesenlos sind, aber am Spiegel die Fläche, am Echo die Wand
etwas die Spiegelung Ermöglichendes, also insofern — trotz ihrer
eigenen Leerheit —- etwas Faßbares darstellen, so bietet auch der
Raum eine Möglichkeit, an der das Denken einen Halt findet: Der
Raum läßt sich begreifen als das, was zwar selber nichts zeugen, aber
das Mathematische ermöglichen, nämlich quantitative Bestimmung
erleiden kann. Restlos unfaßbar wäre nur der Unhegriff barer
‘Materie’; denn sie wäre, als das unausgesetzt Wechselnde, ohne
Form, ohne Bestimmtheit, ohne Dauer und irgendwelches Sein.
Daher kann es für Platon materielle Elemente oder Atome als
Konstituentien einer Wirklichkeit nicht geben, wohl aber mathe-
matische Grundformen, deren System im Raume als Inbegriff geo-
metrischer und stereometrischer Möglichkeiten der Körperbildung
niedergelegt werden konnte1. Wahrheit ist in mathematischer
Form dem Raume gleichsam leihweise übergeben; wie er auch
physikalisch die Funktion des guvoutiov für alles bewegte Ge-
schehen in ihm ausübt2. So bedeutet die Raumwelt für den genuinen
Platonismus mehr als für die Mystik; sofern das ‘Corpus’ mathe-
matisch als ‘Spatium’ begriffen werden kann3, ist für Platon die
Erscheinung bereits in einem Sinne gerettet, der ein bedeutsames
Prinzip der cartesischen Körperlehre vorwegnimmt. Anderer-
1 Tim. 31bff. Dazu Eva Sachs, Die fünf Platonischen Körper (Philolog.
Untersuchungen XXIV) 1917, S. 223ff.
2 Tim. 46c; 48 a.
3 Über die Verwandtschaft des Platonischen und Cartesischen Prinzips
s. E. Cassirer in Dessoirs Lehrbuch der Geschichte der Philosophie S. 123.
Doch muß auch auf den grundsätzlichen Unterschied zwischen Platonischer
und Cartesischer Körperwelt aufmerksam gemacht werden: Der Begriff des
sichtbaren Kosmos ist für Platon zugleich ein Qualitätsbegriff; die mathe-
matische, quantitative Bestimmtheit ist ein Quäle in allerhöchstem Sinne.
Bei Descartes aber ist das Quäle dem mechanistischen Gedanken zum Opfer
gefallen.