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Ernst Hoffmann:
nisten hatten das Problem des Werdens übernommen; aber je
mehr ihre Wissenschaft die Methoden der Physik und Mechanik
ausbildete, umso mehr verengte sich das Phänomen des Werdens
auf bloße Veränderung der elementaren Substanzen oder ihren
periodischen Wechsel. Platon gab als erster dem Problem des
Werdens die tiefere Fassung, daß er das ylyvEahat, Sia ti und
das yiyvsch-ou etc, n scharf unterschied: Das Werden geschieht
‘durch’ Gott, aber ‘zum’ Sein; Gott ist der schaffende Grund,
die Ideen sind die bleibenden Zweckgründe des Werdenden. Aristo-
teles vertauschte grundsätzlich diese beiden Kausalfunktionen:
Gerade die Finalkausalität wurde von ihm nicht pluralistisch,
sondern monistisch gedacht und in Gott verlegt; die dynamische
Kausalität hingegen wurde den zu Energien umgedeuteten Formen
zugeeignet. Was allen Dogmen über den Begriff des Werdens bisher
fehlte, war die Problematik des ylyvsoFou, ex tivoc, denn sie war
von allen auf das materielle Substrat der werdenden Dinge be-
schränkt worden. Doch woher stammt das Werden selbst ?
Dies Problem ist es, was originär den hellenistischen Philosophien
zugrunde liegt. Es soll diejenige Dynamik gefunden werden, die
den ‘Herweg’ des Gewordenen aus einem Quell des Werdens be-
greiflich macht. Platon und Aristoteles hatten, jeder in seiner
Art, einen ‘Hinweg’ des Werdens zum Sein angenommen; Platon
hatte das yiyvsaFai de, ouaiav als Denkweg der vernünftigen
Seele aufgewiesen, Aristoteles hatte das Werden zum entelechischen
Entwicklungsgang aller Substanzen gemacht. Die Grundposition
der Spätantike aber ist: Jener Weg kann nur als Rückweg begrif-
fen werden, dem der Herweg, der Hervorgang des Gewordenen,
vorangegangen sein muß. Diesen Hervorgang einer begrifflichen
Analyse zugänglich zu machen, war die Aufgabe, die mit den Mit-
teln der Generation1, Explikation, Emanation angegriffen wurde
und im Gegensatz zur attischen Philosophie mystische Lösungen
erheischen mußte. Platons dialektische Frage nach dem ‘Was’
1 Das erregende Moment für die neue Problemstellung lag letztlich im
Naturbegriff der Stoa. Die Bedeutung der Stoa für alle Wissenschaft von
der lebendigen Natur beruht in der Erkenntnis, daß der teleologische Gedanke
des Aristoteles zwar hinreicht, um das Naturgeschehen einem Sinne zu unter-
werfen, aber nicht, um es als Leben zu begreifen. Denn alles Lebendige er-
fordert außer der eindeutigen Zwecklinie des Aristoteles die reiche Vielheit
der Gestaltungen, in denen die Zweckmäßigkeit wirklich wird. Diese Rhyth-
mik von Einem und Vielem im Lebendigen sah die Stoa, weil sie Heraldit
und später Platon folgte.
Ernst Hoffmann:
nisten hatten das Problem des Werdens übernommen; aber je
mehr ihre Wissenschaft die Methoden der Physik und Mechanik
ausbildete, umso mehr verengte sich das Phänomen des Werdens
auf bloße Veränderung der elementaren Substanzen oder ihren
periodischen Wechsel. Platon gab als erster dem Problem des
Werdens die tiefere Fassung, daß er das ylyvEahat, Sia ti und
das yiyvsch-ou etc, n scharf unterschied: Das Werden geschieht
‘durch’ Gott, aber ‘zum’ Sein; Gott ist der schaffende Grund,
die Ideen sind die bleibenden Zweckgründe des Werdenden. Aristo-
teles vertauschte grundsätzlich diese beiden Kausalfunktionen:
Gerade die Finalkausalität wurde von ihm nicht pluralistisch,
sondern monistisch gedacht und in Gott verlegt; die dynamische
Kausalität hingegen wurde den zu Energien umgedeuteten Formen
zugeeignet. Was allen Dogmen über den Begriff des Werdens bisher
fehlte, war die Problematik des ylyvsoFou, ex tivoc, denn sie war
von allen auf das materielle Substrat der werdenden Dinge be-
schränkt worden. Doch woher stammt das Werden selbst ?
Dies Problem ist es, was originär den hellenistischen Philosophien
zugrunde liegt. Es soll diejenige Dynamik gefunden werden, die
den ‘Herweg’ des Gewordenen aus einem Quell des Werdens be-
greiflich macht. Platon und Aristoteles hatten, jeder in seiner
Art, einen ‘Hinweg’ des Werdens zum Sein angenommen; Platon
hatte das yiyvsaFai de, ouaiav als Denkweg der vernünftigen
Seele aufgewiesen, Aristoteles hatte das Werden zum entelechischen
Entwicklungsgang aller Substanzen gemacht. Die Grundposition
der Spätantike aber ist: Jener Weg kann nur als Rückweg begrif-
fen werden, dem der Herweg, der Hervorgang des Gewordenen,
vorangegangen sein muß. Diesen Hervorgang einer begrifflichen
Analyse zugänglich zu machen, war die Aufgabe, die mit den Mit-
teln der Generation1, Explikation, Emanation angegriffen wurde
und im Gegensatz zur attischen Philosophie mystische Lösungen
erheischen mußte. Platons dialektische Frage nach dem ‘Was’
1 Das erregende Moment für die neue Problemstellung lag letztlich im
Naturbegriff der Stoa. Die Bedeutung der Stoa für alle Wissenschaft von
der lebendigen Natur beruht in der Erkenntnis, daß der teleologische Gedanke
des Aristoteles zwar hinreicht, um das Naturgeschehen einem Sinne zu unter-
werfen, aber nicht, um es als Leben zu begreifen. Denn alles Lebendige er-
fordert außer der eindeutigen Zwecklinie des Aristoteles die reiche Vielheit
der Gestaltungen, in denen die Zweckmäßigkeit wirklich wird. Diese Rhyth-
mik von Einem und Vielem im Lebendigen sah die Stoa, weil sie Heraldit
und später Platon folgte.