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Ernst Hoffmann:
Umstand, ob er einzelnen Stücken des Platonismus die Gefolg-
schaft bewahrte oder versagte; sondern maßgebend war in erster
Linie die Umbildung des Platonischen Begriffsinventars von innen
heraus, die dessen Prägungen für ganz anders geartete philosophi-
sche Aufgaben verwendbar machte. Dies war eine Revolution
der philosophischen Semasiologie, die in der persönlichen Ent-
wicklung des Aristoteles selbst langsam, aber Schritt für Schritt
vor sich ging, dann jedoch, als sie sich vollendet hatte, so umfassend
wirkte, daß in ihr schon die hellenistischen Schulen wie in etwas
Selbstverständlichem und Endgültigem wurzelten.
Wenn wir früher betrachtet haben, wie die Umbildung des
genuinen Platonismus gleichsam konzentriert erscheint in der
Geschichte des Problems vom ‘Einen und Vielen’, so konnten alle
Theorien von Generatio, Explicatio, Emanatio sich bereits berufen
auf jenes ‘Viele im Einen’, welches Aristoteles in der Entelechie,
besonders im Organismus, aufgezeigt hatte. Diese organische Ein-
heit war es, vermöge deren das Aristotelische Denken je länger
umso intensiver sich auf das Sein des Wesens (d. h. auf die Sub-
stanz und ihre Attribute) richtete, während das Platonische Den-
ken grundsätzlich auf das Wesen des Seins (d. h. auf die Essenz
und ihre Denkkorrelate) gerichtet blieb. Es ließe sich darstellen,
wie es letztlich mit diesem maßgebenden Schritte zusammenhing,
daß erstens die Logik Platons von Aristoteles zerteilt wurde in
eine syllogistische Propädeutik und eine metaphysische Axio-
matik, wie zweitens Platons Mythopoiien ihre legalen Rechte im
System verloren, und wie drittens der Ort für Mystik erst frei
wurde, nachdem die Mythik beseitigt war. Es ist aber in unserem
Zusammenhänge wichtiger, die Veränderung der philosophischen
Methoden durch Aristoteles mehr im Einzelnen zu studieren.
Wenn wir z.B. die Reihe der Aristotelischen Kategorien überblicken,
so finden wir nur begriffliche Inhalte, die auch bei Platon bereits
in verschiedenem Grade ihre Rolle spielen: Seinsheit und Gattung,
Wie-viel und Wie-beschaffen, Wo und Wann, Tun und Leiden,
Zustand und Ruhe. Aber für Platon sind diese Seinsbestimmungen
nur relevant, sofern er in ihnen einzelne ‘Fragen’ sieht, die das
Denken aufwirft: Fragen, die letztlich aus der ‘Seele selbst'
stammen und das eigentümliche Vermögen der Vernunft bezeich-
nen, ‘selbst sich zu fragen und selbst zu antworten’. Mit diesen
Fragen, die gleichsam in der Seele schlummern, bis sie durch sinn-
Ernst Hoffmann:
Umstand, ob er einzelnen Stücken des Platonismus die Gefolg-
schaft bewahrte oder versagte; sondern maßgebend war in erster
Linie die Umbildung des Platonischen Begriffsinventars von innen
heraus, die dessen Prägungen für ganz anders geartete philosophi-
sche Aufgaben verwendbar machte. Dies war eine Revolution
der philosophischen Semasiologie, die in der persönlichen Ent-
wicklung des Aristoteles selbst langsam, aber Schritt für Schritt
vor sich ging, dann jedoch, als sie sich vollendet hatte, so umfassend
wirkte, daß in ihr schon die hellenistischen Schulen wie in etwas
Selbstverständlichem und Endgültigem wurzelten.
Wenn wir früher betrachtet haben, wie die Umbildung des
genuinen Platonismus gleichsam konzentriert erscheint in der
Geschichte des Problems vom ‘Einen und Vielen’, so konnten alle
Theorien von Generatio, Explicatio, Emanatio sich bereits berufen
auf jenes ‘Viele im Einen’, welches Aristoteles in der Entelechie,
besonders im Organismus, aufgezeigt hatte. Diese organische Ein-
heit war es, vermöge deren das Aristotelische Denken je länger
umso intensiver sich auf das Sein des Wesens (d. h. auf die Sub-
stanz und ihre Attribute) richtete, während das Platonische Den-
ken grundsätzlich auf das Wesen des Seins (d. h. auf die Essenz
und ihre Denkkorrelate) gerichtet blieb. Es ließe sich darstellen,
wie es letztlich mit diesem maßgebenden Schritte zusammenhing,
daß erstens die Logik Platons von Aristoteles zerteilt wurde in
eine syllogistische Propädeutik und eine metaphysische Axio-
matik, wie zweitens Platons Mythopoiien ihre legalen Rechte im
System verloren, und wie drittens der Ort für Mystik erst frei
wurde, nachdem die Mythik beseitigt war. Es ist aber in unserem
Zusammenhänge wichtiger, die Veränderung der philosophischen
Methoden durch Aristoteles mehr im Einzelnen zu studieren.
Wenn wir z.B. die Reihe der Aristotelischen Kategorien überblicken,
so finden wir nur begriffliche Inhalte, die auch bei Platon bereits
in verschiedenem Grade ihre Rolle spielen: Seinsheit und Gattung,
Wie-viel und Wie-beschaffen, Wo und Wann, Tun und Leiden,
Zustand und Ruhe. Aber für Platon sind diese Seinsbestimmungen
nur relevant, sofern er in ihnen einzelne ‘Fragen’ sieht, die das
Denken aufwirft: Fragen, die letztlich aus der ‘Seele selbst'
stammen und das eigentümliche Vermögen der Vernunft bezeich-
nen, ‘selbst sich zu fragen und selbst zu antworten’. Mit diesen
Fragen, die gleichsam in der Seele schlummern, bis sie durch sinn-