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Hoffmann, Ernst; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1934/35, 2. Abhandlung): Platonismus und Mystik im Altertum — Heidelberg, 1935

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https://doi.org/10.11588/diglit.40171#0091
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Platonismus und Mystik im Altertum.

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liehen Anblick1 geweckt werden, geht die Seele an die Erscheinun-
gen heran; die Fragen aber sind ihr Eigentum. Nach Aristoteles
hingegen sind sie nicht das Eigentum der Seele, sondern durchaus
Eigentum des Seienden, der wirklichen gegenständlichen Welt;
es sind Seiten des Seins, die sichtbar werden, und die wir denkend
von ihm in bestimmter Ordnung und Folge als positive ‘Aussagen’
über das Seiende ablesen können. Das Sein ist für Platon ein Tran-
szendentes, welches durch Phänomene nur ‘vertreten’ wird; das
Sein ist für Aristoteles ein unmittelbar Gegebenes, Weltimmanen-
tes und Diesseitiges (nur Gott ist transzendent), welches sich im
Phänomene selber zeigt. Daher sind für Platon die Phänomene
Spiegelungen, für Aristoteles sind sie Seiendes selber: Einzelne,
konkrete Substanzen, die wir zu ‘analysieren’ haben. Platon gliedert
das Sein der Denksetzung dihäretisch, Aristoteles gliedert das Sein
des Gegenstandes analytisch und formiert seine Bestimmungen
in einer ‘Reihe’ von Gliedern, deren Stetigkeit und Vollständig-
keit anzeigen soll, daß der Gegenstand zutreffend bestimmt ist.
Und wie das ‘Seiende’ für Platon und Aristoteles etwas
Grundverschiedenes ist, so auch das ‘Nichtseiende’. Die Logik
des Nichtseins führt beide Philosophen zu einer fünffachen Ver-
wendung des Negativen: Wir können durch Negation erstens
die Aufhebung einer Position bezeichnen (Mensch und Nicht-
Mensch), zweitens eine Kontradiktion (Ruhe im Gegensatz zur
Bewegung), drittens eine Kontrarietät (schwarz und weiß), viertens
eine Privation (das Nichtsein als Bedürftigkeit), fünftens eine
Nichtssetzung (Unbegriff). Aber was machen Platon und Aristote-
les aus den gleichen fünf Begriffen ? Die logische Aufhebung
dient Platon dazu, um das ‘Nichtsein’ als ‘Anderssein’ zu fassen,
durch das Anderssein die Vielheit zu konstituieren und dem
Nichtseienden seinen legitimen Platz im Ideenkosmos anzuweisen.
Die Aufhebung aber dient dem Aristoteles dazu, um Mensch und
Nicht-Mensch nur als ‘bestimmte’ und ‘unbestimmte Aussage’
zu kennzeichnen2. — Die Kontradiktion dient Platon dazu, Eidos

1 Vgl. Resp.VI, 523b: Ta p.ev ev Tale; aiatRosaiv ou TöapaxaZoüvTa T7]v voTjcsiv
zlc, ETuaxstpv ... Ta 8s 7ravTa7taaiv S'.axeXeuopisva kxsivrjv etucxstfiaa&ai. Dazu
524aff. Das Kennzeichen dafür, daß die Seele sich von der Sinnesempfindung
zu Selbsttätigkeit aufrufen läßt, ist der ‘Zweifel’, denn er hat alternativen
Charakter.
2 Vgl. die Aporien des eTspov im Sophistes und Parmenides. — Aristo-
teles De interpr. Cap. 3: oüx-avhpcouot; ein ovop-a äopiaTov.
 
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