Platonismus und Mystik im Altertum.
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Welt und unbewegtem Beweger. Und diese Trias ergibt sich ihm
folgerecht, da für ihn der Ideenbereich fortgefallen ist. Wir denken
nach Aristoteles nicht Formen als Objekte der Erkenntnis, sondern
wir denken Objekte vermöge von Formen als den Mitteln der Er-
kenntnis. Und realiter sind die Formen kein Sein, sondern sie
sind Momente am Sein. Ist aber der Ideenbereich als konstitutiv
für das Gefüge der Philosophie fortgefallen, so muß alles Werden,
statt von der Form her gedeutet, nunmehr von der Materie her ab-
geleitet werden, und statt des Platonischen Begriffspaares ‘Form’
und ‘Methexis’ wird bei Aristoteles das Begriffspaar ‘Stoff’ und
T)ynamis’ zum primär systembildenden Faktor. In die Materie
ist die Notwendigkeit als ‘das, was nicht anders sein kann als es
ist’ verlegt; und sofern die Materie immer das erste Wort spricht1,
ist mit ihr ein Anfang gemacht, der nicht wieder aufgehoben wer-
den kann. Dies gilt für alles, was Welt ist, also laut Aristoteles
für alles außer für Gott. Gott ist als reines Denken das Einzige,
was ganz ohne Stoff ist und jenseits aller Möglichkeit. Unter dem
Gesichtspunkt der Aktualität ist er der ‘reine’ Akt; unter dem
Gesichtspunkt der Finalität ist er der ‘letzte’ Zweck, unter dem
Gesichtspunkt der Kausalität ist er das ‘erste’ Bewegende; in
jedem Betracht ist er so wirklich, wie die gegenständliche Welt
die wirkliche Welt ist. Und hiermit sind wir zu demjenigen Punkte
gekommen, der für das Verhältnis der hellenistischen Richtungen
zu Platon und zu Aristoteles den Ausschlag gibt; er betrifft die
Aristotelische Philosophie als Wirklichkeitslehre, oder anders
ausgedrückt: er betrifft die radikale Transformation, der Aristo-
teles den Platonischen Realitätsbegriff unterworfen hat.
Was hatte Platon beabsichtigt ? In der Wahrheit Fuß zu
fassen; im Sein fest zu stehen; im Wissen heimisch zu werden2.
Da alle Denkbemühung ein Sein voraussetzt, dessen Charakter
anders ist als das sinnenhafter Existenz, so muß das Denken seinen
Standort prinzipiell außerhalb des Erscheinungsbereiches wählen,
1 Denn sie ist Princ. individuationis. Für Platons eidologisches Denken
war das Individuell-sein in die monadische Idee verlegt, und das Konkret-
Einzelne war teilbar in seine Teilhaben an den axoga sl8r\. Für Aristoteles’
usiologisches Denken wird das Konkret-Einzelne zum Individuellen, axogov -
to xa-9-’ exocaxov. Ygl. Cat. 5, 38b 12: i~l twv xpcoTow oüaicov aTOgov xai, sv
tÖ STjkoügevov.
2 Mit diesen Ausdrücken versuche ich wiederzugeben, was für Platon
in den Stammesbedeutungen von sSpoc und xsSlov als Bezeichnungen für
Bereiche, in ol'xvjait; toü ayoc-ü-oü, in olxsla smaTYip) usw. steckt.
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Welt und unbewegtem Beweger. Und diese Trias ergibt sich ihm
folgerecht, da für ihn der Ideenbereich fortgefallen ist. Wir denken
nach Aristoteles nicht Formen als Objekte der Erkenntnis, sondern
wir denken Objekte vermöge von Formen als den Mitteln der Er-
kenntnis. Und realiter sind die Formen kein Sein, sondern sie
sind Momente am Sein. Ist aber der Ideenbereich als konstitutiv
für das Gefüge der Philosophie fortgefallen, so muß alles Werden,
statt von der Form her gedeutet, nunmehr von der Materie her ab-
geleitet werden, und statt des Platonischen Begriffspaares ‘Form’
und ‘Methexis’ wird bei Aristoteles das Begriffspaar ‘Stoff’ und
T)ynamis’ zum primär systembildenden Faktor. In die Materie
ist die Notwendigkeit als ‘das, was nicht anders sein kann als es
ist’ verlegt; und sofern die Materie immer das erste Wort spricht1,
ist mit ihr ein Anfang gemacht, der nicht wieder aufgehoben wer-
den kann. Dies gilt für alles, was Welt ist, also laut Aristoteles
für alles außer für Gott. Gott ist als reines Denken das Einzige,
was ganz ohne Stoff ist und jenseits aller Möglichkeit. Unter dem
Gesichtspunkt der Aktualität ist er der ‘reine’ Akt; unter dem
Gesichtspunkt der Finalität ist er der ‘letzte’ Zweck, unter dem
Gesichtspunkt der Kausalität ist er das ‘erste’ Bewegende; in
jedem Betracht ist er so wirklich, wie die gegenständliche Welt
die wirkliche Welt ist. Und hiermit sind wir zu demjenigen Punkte
gekommen, der für das Verhältnis der hellenistischen Richtungen
zu Platon und zu Aristoteles den Ausschlag gibt; er betrifft die
Aristotelische Philosophie als Wirklichkeitslehre, oder anders
ausgedrückt: er betrifft die radikale Transformation, der Aristo-
teles den Platonischen Realitätsbegriff unterworfen hat.
Was hatte Platon beabsichtigt ? In der Wahrheit Fuß zu
fassen; im Sein fest zu stehen; im Wissen heimisch zu werden2.
Da alle Denkbemühung ein Sein voraussetzt, dessen Charakter
anders ist als das sinnenhafter Existenz, so muß das Denken seinen
Standort prinzipiell außerhalb des Erscheinungsbereiches wählen,
1 Denn sie ist Princ. individuationis. Für Platons eidologisches Denken
war das Individuell-sein in die monadische Idee verlegt, und das Konkret-
Einzelne war teilbar in seine Teilhaben an den axoga sl8r\. Für Aristoteles’
usiologisches Denken wird das Konkret-Einzelne zum Individuellen, axogov -
to xa-9-’ exocaxov. Ygl. Cat. 5, 38b 12: i~l twv xpcoTow oüaicov aTOgov xai, sv
tÖ STjkoügevov.
2 Mit diesen Ausdrücken versuche ich wiederzugeben, was für Platon
in den Stammesbedeutungen von sSpoc und xsSlov als Bezeichnungen für
Bereiche, in ol'xvjait; toü ayoc-ü-oü, in olxsla smaTYip) usw. steckt.