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Hoffmann, Ernst; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1934/35, 2. Abhandlung): Platonismus und Mystik im Altertum — Heidelberg, 1935

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https://doi.org/10.11588/diglit.40171#0101
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Platonismus und Mystik im Altertum.

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Ein Beispiel aus der Geschichte der philosophischen Termino-
logie möge zum Schluß meine Ausführungen über die Art der Ver-
schmelzung von Platonismus und Aristotehsmus veranschaulichen.
Schon in der Philosophie des antiken Christentums existiert das
Schema, daß unsere Erkenntnis vier Stufen habe: Sensus, imagi-
natio, ratio, intelligentia. Den Worten nach ist dieses Schema
noch der alte Quaternar von ebcacna, atathrjai^, Stavota, votjgk;
aus Platons Liniengleichnis in lateinischer Übersetzung. Nur ist
hei Platon erstens die Reihenfolge eine andere, denn Platon be-
ginnt mit Eikasia (imaginatio), und dann erst kommt Aisthesis
(sensus). Zweitens ist die Wortbedeutung von imaginatio eine
andere geworden, denn bei Platon bedeutet sie die Hinnahme
eines sinnlichen Abbildes, hei den Späteren die Bildung einer ori-
ginalen Vorstellung. Drittens, bei Platon handelt es sich um die
vier Glieder einer tmematischen Proportion, bei den Späteren
um die vier Phasen einer psychogenetischen Entwicklung. Alle
drei Änderungen haben erweislich ihren Grund hei Aristoteles,
d. h. in dem Einfluß seiner Begriffsbildung auf die stoische Trans-
formation der Termini. Aristoteles nämlich läßt die Erkenntnis
anheben mit Sinnesempfindung (atcthrjai<;), die sich zur Vorstel-
lung («pavTcccda) formt, welche in der Erinnerung (pvyjp]) dauernd
wird, und über die Stufen der Reproduktion (avap,vY]Gt<;) und Er-
fahrung (epceipta) sich zur Erkenntnis vollendet. Die Späteren
aber kontaminieren nun die psychogenetische Folge des Aristoteles
mit der tmematischen Proportion Platons, indem von Platon die
Form des Quaternars, von Aristoteles das Motiv der ‘Reihe’ über-
nommen und so der Gegensatz zum Schema des Liniengleichnisses
deutlich wird: Erstens die Reihenfolge, denn Aristoteles muß mit
dem Sensus anfangen, weil er zeitlich als Vorgang der erkennenden
Seele das Früheste ist. Zweitens der Bedeutungswandel der Ima-
ginatio, mit der im Lateinischen sowohl die Platonische Eikasia
wie die Aristotelische Phantasia wiedergegeben werden kann.
Eikasia aber bedeutet für Platon, daß ich etwa im Wasser das
Spiegelbild eines Blattes sehe (weniger als das sinnliche, wirkliche
Blatt); Phantasia bedeutet für Aristoteles (oft in Verbindung
mit stxwv), daß ich aus den einzelnen sensitiven Perzeptionen ein
Vorstellungsbild forme (mehr als der bare sinnliche Eindruck).
Drittens die Proportion: Platons eigentliches Motiv ist ganz ver-
loren gegangen. Ihn interessierte vor allem das proportionale Ge-
füge der Erkenntnismöglichkeiten überhaupt. Die erkennende
7 Sitzungsberichte d. Heidelb. Akad., phil.-hist. Kl. 1934/35. 2. Abh.
 
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