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Hoffmann, Ernst; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1934/35, 2. Abhandlung): Platonismus und Mystik im Altertum — Heidelberg, 1935

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https://doi.org/10.11588/diglit.40171#0114
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Ernst Hoffmann:

Platons Erbe der Entzweiung preisgegeben. Die aber im Leben
konkurrierten, sollten im Nachleben Zusammenwirken. Vom Helle-
nismus bis zur Kaiserzeit vollzog sich eine immer enger werdende
Verbindung von Philosophie und Mysterium1, z. B. von erkenntnis-
kritischer Bestimmung des Gottesbegriffs und religiöser Vollendung
der Gottesschau, von systematischer Reihenfolge der logischen
Denkarten und gradweiser Abstufung kathartischer Weihen. Und
mochten auch in allen Jahrhunderten der Spätantike noch 'Plato-
niker’ jener beiden divergenten Richtungen existieren, sofern die
einen im Geiste kritischer, attischer Begriffsphilosophie die plato-
nisch-aristotelische Linie fortsetzten, ja mit der späteren Akademie
ihren Kritizismus in agnostische Skepsis münden ließen, die an-
deren aber das religiöse Sehnen der Zeit derart steigerten, daß seine
Befriedigung nahezu in theurgischen Gnostizismus ausartete, so
bestimmte diese Zwiespältigkeit doch nicht das Gepräge der da-
maligen weltgeschichtlichen Situation. Diese vielmehr wurde ge-
kennzeichnet durch jene Assimilation von Philosophie und Myste-
rium, die der Geist des Ostens bereits vorfand, als er auf die ihn
hellenisierende Bildungswelt zurückwirkte und ihr ihre eigene, ur-
zeitliche Verwandtschaft mit dem Orient zu Bewußtsein brachte.
Und wie dieser so beginnende Synkretismus von West und Ost
die Einheit ist Gott, sie hat männliches Geschlecht, Vaterstellung und König-
tum am Himmel, heißt Zeus, Ungerade und Nus; (B) die Zweiheit ist Gott,
weiblich als Göttermutter, Leiterin des Weltteils unter dem Himmel, Seele
des Alls; (C) der Himmel ist Gott, die feurigen Sterne sind die olympischen
Gottheiten. Zweitens aber gibt es außer den genannten höchsten Göttern,
die also erste Stelle einnehmen (a), unsichtbare Dämonen unter dem Monde (b)
und eine Art göttlicher Potenzen in den materiellen Elementen (c). Diese letzten
aber teilen sich wieder dreifach, solche, die (1) in der Luft als Hades, die (2) im
Feuchten als Poseidon, die (3) in der Erde als Demeter walten. Also dreimalige
Verwendung des Dreibegriffs: die Dreiteilung als dynamisches Prinzip, um die
Dämonisierung der Weltbereiche durchzuführen und so das All durch gött-
liche Dreiheit fest in sich zu binden. Dämonen sind für Xenokratische Philo-
sophie Wesen, welche das Pathos des Sterblichen und die Physis des Unsterb-
lichen vereinen, also auf der Grenze zwischen Gott und Mensch leben (De def.
216 d). Vermöge dieser tritheistischen Dämonologie wird das All zu einer
kontinuierlichen Klimax, die bald beansprucht, als Parallele zum Aristoteli-
schen Stufenkosmos aufzutreten.
1 Man vergleiche im 18. Jahrhundert Gegensatz und Verbindung von
'Aufklärung’ und 'Erleuchtung’ (öclairsir und illuminer), ein Verhältnis, dessen
Problematik niemandem deutlicher wurde als den Romantikern, denen die
Kritik der Urteilskraft zum Erlebnis geworden war, wie 2000 Jahre früher
den Hellenisten der Timaios.
 
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