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Hoffmann, Ernst; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1934/35, 2. Abhandlung): Platonismus und Mystik im Altertum — Heidelberg, 1935

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https://doi.org/10.11588/diglit.40171#0134
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130

Ernst Hoffmann:

Logos sich unbegrenzt in die Welt aussamen ließen, als die Neu-
pythagoreer die göttliche Einheit in die grenzenlose Vielheit ent-
faltet dachten, als der Spätplatonismus begann, den göttlichen Ur-
quell unerschöpflich in die Welt ausströmen zu lassen, setzte sich
die Vorstellung durch, daß der als unendlich zu denkende Welt-
prozeß auch eine unendliche Ursache voraussetze: Es war durchaus
im Einklänge mit der Wandlung des hellenistischen Platonismus zur
substantiierenden Denkform des Pantheismus, daß die Unendlich-
keit aus einem Funktionsmomente Gottes zu einem seiner Wesens-
momente umgedacht wurde und daß das Prädikat der Unendlich-
keit, grundsätzlich gesprochen, vom Geschöpfe (Welt) auf den
Schöpfer (Gott) übertragen wurde1. Wiederum boten Platon und
Aristoteles scheinbare Ansätze dafür, die leicht um- und ausgedeutet
werden konnten: Aristoteles durch die als unbegrenzt zu denkende
Wirkungskraft des Ersten Bewegers, Platon durch Gottes Ewigkeit.
Es kamen hinzu jene Antinomien des Parmenides, welche der Nega-
1 Ob es logisch zu rechtfertigen ist, daß man das Unendlichkeitsprädikat,
das für den Weltkörper galt, mit dem gleichen Worte auch für den Weltgrund
verwandte, kann zweifelhaft sein. Erst Cusanus machte ernst damit, daß,
wenn Gott und Welt unendlich genannt werden, nur Gott als das ‘Unendliche
selber’, die Welt aber als das ‘dem Unendlichen Gleiche’ zu denken sei. —
Für die antike Entwicklung muß festgehalten werden, daß weniger das-
Gottesbewußtsein durch eine begriffliche Entwicklung als die begriffliche
Entwicklung durch das Gottesbewußtsein beeinflußt wurde. Wie ehe-
mals der reine Gedanke, der sich als Form wußte, Gott als reine
Form gedacht hatte, so setzte im Hellenismus das religiöse Sehnen,
weil es selber grenzenlos war, Gott als das Unendliche. Letztlich war das.
Problem mit der Ideenlehre verhaftet: Die Ideen in genuin Platonischer Fas-
sung gewähren durch ihr Peras dem Denken die grundsätzliche Rettung vor
dem Verlaufe ins Unendliche, also kann auch Gott, die ‘Idee’ des Guten, nicht
ohne Peras sein. Fällt die Schranke der Ideen, so ist Gott mit seinem Derivate,
der Welt, so unmittelbar verbunden, daß der gleichenPrädizierung beider nichts
mehr im Wege steht. — Rein begriffsgeschichtlich betrachtet stellt sich die
Entwicklung des Unendlichkeitsbegriffes seit dem Hellenismus folgender-
maßen dar: Auf der einen Seite steht der Dogmatismus der Epikureer, welche
die numerische Unendlichkeit der Welten ohne weiteres bejahen (Diog. Laert.
X, 45: ocTAoc [Hjv xoci xocgot oLapo! elaiv). Auf der anderen Seite steht der
Kritizismus der Skeptiker, welche das Unendliche als möglichen Gegenstand
des Denkens verneinen (Sextus, Pyrrh. Hyp. B, 85: äSüvairov 8k aTtecpa ä-o-
Sei^ai). Zwischen beiden Richtungen stehen die Platoniker, die sich wiederum
teilen, erstens in solche, die mit Plutarch bei dem Satze verbleiben: tö a-eipov
xöci, dcTisparcoTov (De def. XXV, 424 d; diese Debatten gehen um die Exegese
von Tim. 31a), zweitens in solche, welche das Unendliche — fast kann man.
sagen: als regulative Idee — in die Gottheit projizieren.
 
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