132
Ernst Hoffmann:
geforderten Kausalzusammenhang des Weltganzen begreifbar zu
machen, da hatte das kritisch werdende Denken von den irratio-
nellen Gebilden der religiösen Vorstellung eben so weiten Abstand
genommen wie von den ungeprüften Bildern des bloßen Sinnen-
scheines. Die gleiche Kraft des Gedankens aber, welche den Wider-
stand gegen das Verharren bei ungebändigten Gefühlen und dump-
fen Ahnungen organisiert hatte, trat nach dem kulturellen Siege
der griechischen Aufklärung in den Dienst des geläuterten religiösen
Bewußtseins. Hatten einstmals die Ansprüche der griechischen
Philosophie dem Vordringen orientalischer Beligionen die Schranke
gesetzt, so war es in der hellenistischen Epoche wiederum die Philo-
sophie, welche bewirkte, daß das Ergebnis der zeitgemäßen Theo-
krasie kein Aufgehen des Hellenischen im Orientalischen war, son-
dern ein Aufnehmen der religiösen Fülle östlichen Gefühlslebens1
in die Tiefe des hellenischen Gottesgedankens. So weit auch die
Propaganda für alten Okkultismus in neuer Form vom Osten her
in das Abendland eindrang, in der Philosophie gab es Positionen,
die gehalten wurden; nicht nur, um Altes zu konservieren, sondern
auch um das Neue zu gestalten. Wie die griechische Philosophie
ethisch den Gedanken der Menschheit und der menschlichen Ge-
meinsamkeit hervorgebracht hatte, so entwickelte sich von der
Stoa2 bis zum Neuplatonismus in zunehmendem Maße auch reli-
gionsphilosophisch die Überzeugung von der Einen Wahrheit des
Gottesgedankens, die in der Mannigfaltigkeit der Mythen ihren
vielartigen Ausdruck findet. Es liegt im Wesen der Sache, daß die
Überzeugung von der Unendlichkeit des Einen Gottes sich im Bunde
weiß mit der Überzeugung, daß die polymorphen Erscheinungen
1 Dies ist auch der Gesichtspunkt, unter dem man die Frage anzusehen
hat, ob und inwieweit orientalische Einflüsse bei der Umwandlung des philo-
sophischen Unendlichkeitsbegriffes mitgewirkt haben. In jener Epoche han-
delt es sich um Entwicklungen, bei denen wir mit so handgreiflichen Vorgängen
wie Entlehnungen und Übernahmen literarischer Dinge nicht auskommen.
Wenn Hellenismus und frühe Kaiserzeit der philosophischen Gottesweisheit
und Weltanschauung diejenige Form gaben, welche nacheinander in stetiger
Entwicklung, zuerst Griechen, Römer, Juden, dann Syrer, Byzantiner, Perser,
Araber bei so großer Verschiedenheit der Rassen, Zeiten, Religionen unter die
Einheit einer wissenschaftlichen Systematik brachte, welche wiederum im
Ganzen einheitlich vom lateinischen Abendlande in Hochmittelalter und Re-
naissance rezipiert werden konnte, so lag eben zugrunde, daß der Hellenismus
nicht eine Zeit wie andere, sondern ‘der Zeiten Fülle’ war. Hier galt in
besonderem Ausmaße: Es sind mancherlei Gaben, aber es ist Ein Geist.
2 Vgl. Zeller, III, l4, S. 321 ff. Dazu Plinius. Nat. hist. II, 7.
Ernst Hoffmann:
geforderten Kausalzusammenhang des Weltganzen begreifbar zu
machen, da hatte das kritisch werdende Denken von den irratio-
nellen Gebilden der religiösen Vorstellung eben so weiten Abstand
genommen wie von den ungeprüften Bildern des bloßen Sinnen-
scheines. Die gleiche Kraft des Gedankens aber, welche den Wider-
stand gegen das Verharren bei ungebändigten Gefühlen und dump-
fen Ahnungen organisiert hatte, trat nach dem kulturellen Siege
der griechischen Aufklärung in den Dienst des geläuterten religiösen
Bewußtseins. Hatten einstmals die Ansprüche der griechischen
Philosophie dem Vordringen orientalischer Beligionen die Schranke
gesetzt, so war es in der hellenistischen Epoche wiederum die Philo-
sophie, welche bewirkte, daß das Ergebnis der zeitgemäßen Theo-
krasie kein Aufgehen des Hellenischen im Orientalischen war, son-
dern ein Aufnehmen der religiösen Fülle östlichen Gefühlslebens1
in die Tiefe des hellenischen Gottesgedankens. So weit auch die
Propaganda für alten Okkultismus in neuer Form vom Osten her
in das Abendland eindrang, in der Philosophie gab es Positionen,
die gehalten wurden; nicht nur, um Altes zu konservieren, sondern
auch um das Neue zu gestalten. Wie die griechische Philosophie
ethisch den Gedanken der Menschheit und der menschlichen Ge-
meinsamkeit hervorgebracht hatte, so entwickelte sich von der
Stoa2 bis zum Neuplatonismus in zunehmendem Maße auch reli-
gionsphilosophisch die Überzeugung von der Einen Wahrheit des
Gottesgedankens, die in der Mannigfaltigkeit der Mythen ihren
vielartigen Ausdruck findet. Es liegt im Wesen der Sache, daß die
Überzeugung von der Unendlichkeit des Einen Gottes sich im Bunde
weiß mit der Überzeugung, daß die polymorphen Erscheinungen
1 Dies ist auch der Gesichtspunkt, unter dem man die Frage anzusehen
hat, ob und inwieweit orientalische Einflüsse bei der Umwandlung des philo-
sophischen Unendlichkeitsbegriffes mitgewirkt haben. In jener Epoche han-
delt es sich um Entwicklungen, bei denen wir mit so handgreiflichen Vorgängen
wie Entlehnungen und Übernahmen literarischer Dinge nicht auskommen.
Wenn Hellenismus und frühe Kaiserzeit der philosophischen Gottesweisheit
und Weltanschauung diejenige Form gaben, welche nacheinander in stetiger
Entwicklung, zuerst Griechen, Römer, Juden, dann Syrer, Byzantiner, Perser,
Araber bei so großer Verschiedenheit der Rassen, Zeiten, Religionen unter die
Einheit einer wissenschaftlichen Systematik brachte, welche wiederum im
Ganzen einheitlich vom lateinischen Abendlande in Hochmittelalter und Re-
naissance rezipiert werden konnte, so lag eben zugrunde, daß der Hellenismus
nicht eine Zeit wie andere, sondern ‘der Zeiten Fülle’ war. Hier galt in
besonderem Ausmaße: Es sind mancherlei Gaben, aber es ist Ein Geist.
2 Vgl. Zeller, III, l4, S. 321 ff. Dazu Plinius. Nat. hist. II, 7.