Platonismus und Mystik im Altertum.
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Platonischen Denkens weder auf die eine noch auf die andere Weise
das System gebildet werden könne. Wird der Übergang unmittelbar
gedacht, so ist mit dem supertranszendenten Gottesbegriff Miß-
brauch getrieben, denn sogar die intelligible Welt muß vom An-sich
des Absoluten, Einen geschieden sein. Wird zwischen das Eine und
das Viele ein zweites Eins hineingeschoben, so bleibt auch das zweite
Eins ein ‘Eines’ und als solches ein entbehrliches Duplikat. Hier,
wenn überhaupt irgendwo, ist für Proklos der Ort des Systems, wo
die Dialektik ihren bestimmenden Einfluß geltend machen kann und
muß. Dialektisch kann es vom absoluten "Eins’ aus nur eine einzige
erste Beziehung geben: die vom absoluten ‘Eins’ zur absoluten
‘Einheit’. Ist aber vom ‘Einen’ aus die ‘Einheit’ gesetzt, so ist mit
der Einheit zugleich die Vielheit gegeben; denn da nur ‘das Eine’
einzig ist, so muß die Einheit bereits der Inbegriff gleichgearteter
Vielheit sein. Als erste Wirkung ‘Gottes’ also, als erste Emanation
des ‘Einen’, als erstes Erzeugnis des ‘Guten’ kann, wofern Dialektik
die Norm geben soll, nichts anderes gesetzt werden als eine reine
vielheitliche Einheit, die zugleich reine einheitliche Vielheit ist.
Dieser Bereich der ersten Henaden muß weit über alles, was ‘Welt’
ist, weit über Sein, Leben und Denken hinaus liegen; er fällt nach
Proklos zusammen mit der einheitlichen Vielheit der höchsten Gott-
heiten, die in pluralistischer Funktion unmittelbar unter dem Einen,
Ur-Göttlichen stehen1. Der Eine Gott und die Vielheit der gött-
lichen Einheiten sind gleichermaßen für uns ‘überseiend’; und den-
noch ist die Transzendenz beider für die Dialektik nicht dieselbe.
Gott bleibt das Ur-Eine und Ur-Gute an sich, er ist ununterschied-
lich, unmitteilbar, der Denkerkenntnis entzogen. Die göttlichen Ein-
heiten aber sind unterschiedlich, denn jede ist eine ‘bestimmte’
Güte, eine ‘besondere’ Einheit. Und sie sind mitteilbar, denn wo
Bestimmtheit ist, ist Teilhabe an der Bestimmtheit möglich. Und
sie sind der Erkenntnis zugänglich, wofern Erkenntnis noch jenseits
von Sein, Vernunft und Leben dies Dreierlei in transzendenter
Weise zu postulieren vermag. Mit diesem Bereich der überseienden,
göttlichen Einheiten ist vielleicht das philosophisch Bedeutendste
bezeichnet, was Proklos geleistet hat; auf jeden Fall ist der deut-
1 'EvaSwv TrXTjüoi; xpüqxov xal vot]t6v Instit. Theol. 162. 'H yap
7) -0-slcc 8i.£aT7]c7£ Tat; evocSap xocl ocyah-oTTjTat; tcov h-s£>v, coots exaaTov xara ti t%
äyaD-OTTjTop iSlco^oc xavTa äya-9-üveiv, olov TsAecioupyEiv y) cuvsyetv 7| tppoupsiv Inst.
Th. 133. Ilav to TtXyjtlo;; twv hAcin; evdcSwv xsTOpaCTpLsvov ecm xara äpih-p.ov Inst.
Th. 149.
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Platonischen Denkens weder auf die eine noch auf die andere Weise
das System gebildet werden könne. Wird der Übergang unmittelbar
gedacht, so ist mit dem supertranszendenten Gottesbegriff Miß-
brauch getrieben, denn sogar die intelligible Welt muß vom An-sich
des Absoluten, Einen geschieden sein. Wird zwischen das Eine und
das Viele ein zweites Eins hineingeschoben, so bleibt auch das zweite
Eins ein ‘Eines’ und als solches ein entbehrliches Duplikat. Hier,
wenn überhaupt irgendwo, ist für Proklos der Ort des Systems, wo
die Dialektik ihren bestimmenden Einfluß geltend machen kann und
muß. Dialektisch kann es vom absoluten "Eins’ aus nur eine einzige
erste Beziehung geben: die vom absoluten ‘Eins’ zur absoluten
‘Einheit’. Ist aber vom ‘Einen’ aus die ‘Einheit’ gesetzt, so ist mit
der Einheit zugleich die Vielheit gegeben; denn da nur ‘das Eine’
einzig ist, so muß die Einheit bereits der Inbegriff gleichgearteter
Vielheit sein. Als erste Wirkung ‘Gottes’ also, als erste Emanation
des ‘Einen’, als erstes Erzeugnis des ‘Guten’ kann, wofern Dialektik
die Norm geben soll, nichts anderes gesetzt werden als eine reine
vielheitliche Einheit, die zugleich reine einheitliche Vielheit ist.
Dieser Bereich der ersten Henaden muß weit über alles, was ‘Welt’
ist, weit über Sein, Leben und Denken hinaus liegen; er fällt nach
Proklos zusammen mit der einheitlichen Vielheit der höchsten Gott-
heiten, die in pluralistischer Funktion unmittelbar unter dem Einen,
Ur-Göttlichen stehen1. Der Eine Gott und die Vielheit der gött-
lichen Einheiten sind gleichermaßen für uns ‘überseiend’; und den-
noch ist die Transzendenz beider für die Dialektik nicht dieselbe.
Gott bleibt das Ur-Eine und Ur-Gute an sich, er ist ununterschied-
lich, unmitteilbar, der Denkerkenntnis entzogen. Die göttlichen Ein-
heiten aber sind unterschiedlich, denn jede ist eine ‘bestimmte’
Güte, eine ‘besondere’ Einheit. Und sie sind mitteilbar, denn wo
Bestimmtheit ist, ist Teilhabe an der Bestimmtheit möglich. Und
sie sind der Erkenntnis zugänglich, wofern Erkenntnis noch jenseits
von Sein, Vernunft und Leben dies Dreierlei in transzendenter
Weise zu postulieren vermag. Mit diesem Bereich der überseienden,
göttlichen Einheiten ist vielleicht das philosophisch Bedeutendste
bezeichnet, was Proklos geleistet hat; auf jeden Fall ist der deut-
1 'EvaSwv TrXTjüoi; xpüqxov xal vot]t6v Instit. Theol. 162. 'H yap
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Th. 133. Ilav to TtXyjtlo;; twv hAcin; evdcSwv xsTOpaCTpLsvov ecm xara äpih-p.ov Inst.
Th. 149.