Platonismus und Mystik im Altertum.
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zu haben er selber sich reuig bewußt ist. So nahe verwandt dies
Sündenbewüßtsein dem christlichen auch sein mag, Proklos steht
mit Entschiedenheit auf der Seite des Hellenentums, er fragt nach
der ‘Weisheit’ und nicht nach der ‘Torheit’1; sein Halt liegt im
noetischen Bereiche; seine Hierarchie ist ein Kosmos, keine Kirche.
Wir haben uns unter den Hymnen des Proklos keine Kultge-
sänge der Akademie vorzustellen, das wird durch die Nachrichten
ausgeschlossen, die uns Marinos über den Gesamtcharakter der Pro-
klischen Hymnen mitteilt2, von denen die uns erhaltenen nur einen
geringen Teil ausmachen. Aber sie sind auch nicht etwa bloß neben-
sächliche Literatur. Sie gehören zu Proklos’ persönlichem Gebets-
leben, zu seinem Bemühen um Einung mit der Gottheit, zu seiner
religiösen Praxis3, die immer zugleich auch ihren theoretischen Aus-
druck sucht. vEpya und upvot, sind für Proklos ein Paar, wie auch
Metaphysik und Mythologie, oder wie Wissen und Glauben, Leben
und Lehre. Diese Harmonisierung selber birgt das Prinzip: Der
Lykier Proklos, der im Gedächtnis der Geschichte bis hin zur Re-
naissance als der charakteristischste Vertreter der platonischen
Schule galt, gehört, auf die synthetische Kraft seiner Harmonisie-
rungen hin angesehen, zusammen mit dem Juden Philon, dem
Ägypter Plotinos, dem Syrer Dionysios vom Areopag. In dem geisti-
gen Gute, das jene Männer zur Harmonie zu bringen suchten, war
schließlich-—philosophisch angesehen—immer alles Andere, mochte
es jüdisch oder ägyptisch, syrisch oder christlich sein, bloßer ‘Stoff’
für den Prozeß der Harmonisierung; die ‘Lorm’ hingegen kam ein-
zig von der griechischen Philosophie. Und im Sinne dieses Prinzips,
im Sinne einer solchen Bewältigung der ganzen Lülle von Proble-
men der Spekulation und Mystik, der Theophanie und Dämonologie
durch die einheitliche Lorm einer philosophischen Begriffssprache
war Proklos noch immer Repräsentant eines im Kerne hellenisch
gebliebenen Geistes. Selbst das Heil seiner Seele ist ihm untrenn-
bar von ihrer philosophischen Hinauferziehung; Askese und Stu-
dium haben dieselbe Tendenz4. Er denkt als Grieche, wenn er gar im
Gebet noch der sustultj cppsvohsky^ beflissen bleibt. Er betet als
1 Vgl. 1 Cor 1, 22.
2 Vgl. Ludwich S. 117 ff.
3 ei 8s tote nq töv yvoipigcov vocsw xocTelysTO, npätrov gev rovq d-eouq ‘knzccpüq
LxsTEuev uTcep ocütoü spyoip ze xcd ugvoip. Marinos cap. XVII, Ludwich S. 118.
4 Namentlich sein Kommentar zu Platons Staat macht deutlich, daß
Askese und Mystik bei Proklos nicht etwa Platons Mathesis und Dialektik ab-
10 Sitzungsberichte d. Heidelb. Akad., phil.-hist. Kl. 1934/35. 2. Abli.
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zu haben er selber sich reuig bewußt ist. So nahe verwandt dies
Sündenbewüßtsein dem christlichen auch sein mag, Proklos steht
mit Entschiedenheit auf der Seite des Hellenentums, er fragt nach
der ‘Weisheit’ und nicht nach der ‘Torheit’1; sein Halt liegt im
noetischen Bereiche; seine Hierarchie ist ein Kosmos, keine Kirche.
Wir haben uns unter den Hymnen des Proklos keine Kultge-
sänge der Akademie vorzustellen, das wird durch die Nachrichten
ausgeschlossen, die uns Marinos über den Gesamtcharakter der Pro-
klischen Hymnen mitteilt2, von denen die uns erhaltenen nur einen
geringen Teil ausmachen. Aber sie sind auch nicht etwa bloß neben-
sächliche Literatur. Sie gehören zu Proklos’ persönlichem Gebets-
leben, zu seinem Bemühen um Einung mit der Gottheit, zu seiner
religiösen Praxis3, die immer zugleich auch ihren theoretischen Aus-
druck sucht. vEpya und upvot, sind für Proklos ein Paar, wie auch
Metaphysik und Mythologie, oder wie Wissen und Glauben, Leben
und Lehre. Diese Harmonisierung selber birgt das Prinzip: Der
Lykier Proklos, der im Gedächtnis der Geschichte bis hin zur Re-
naissance als der charakteristischste Vertreter der platonischen
Schule galt, gehört, auf die synthetische Kraft seiner Harmonisie-
rungen hin angesehen, zusammen mit dem Juden Philon, dem
Ägypter Plotinos, dem Syrer Dionysios vom Areopag. In dem geisti-
gen Gute, das jene Männer zur Harmonie zu bringen suchten, war
schließlich-—philosophisch angesehen—immer alles Andere, mochte
es jüdisch oder ägyptisch, syrisch oder christlich sein, bloßer ‘Stoff’
für den Prozeß der Harmonisierung; die ‘Lorm’ hingegen kam ein-
zig von der griechischen Philosophie. Und im Sinne dieses Prinzips,
im Sinne einer solchen Bewältigung der ganzen Lülle von Proble-
men der Spekulation und Mystik, der Theophanie und Dämonologie
durch die einheitliche Lorm einer philosophischen Begriffssprache
war Proklos noch immer Repräsentant eines im Kerne hellenisch
gebliebenen Geistes. Selbst das Heil seiner Seele ist ihm untrenn-
bar von ihrer philosophischen Hinauferziehung; Askese und Stu-
dium haben dieselbe Tendenz4. Er denkt als Grieche, wenn er gar im
Gebet noch der sustultj cppsvohsky^ beflissen bleibt. Er betet als
1 Vgl. 1 Cor 1, 22.
2 Vgl. Ludwich S. 117 ff.
3 ei 8s tote nq töv yvoipigcov vocsw xocTelysTO, npätrov gev rovq d-eouq ‘knzccpüq
LxsTEuev uTcep ocütoü spyoip ze xcd ugvoip. Marinos cap. XVII, Ludwich S. 118.
4 Namentlich sein Kommentar zu Platons Staat macht deutlich, daß
Askese und Mystik bei Proklos nicht etwa Platons Mathesis und Dialektik ab-
10 Sitzungsberichte d. Heidelb. Akad., phil.-hist. Kl. 1934/35. 2. Abli.