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Ernst Hoffmann:
mäßig die Quintessenz der gesamten idealistischen Philosophie,
andererseits hot er als Gesinnung, zentriert um die Theodizee, das
philosophische Ganze jener hellenistischen und kaiserzeitlichen, un-
dogmatischen Frömmigkeit, die ich in den vorangehenden Kapiteln
aus ihren geistesgeschichtlichen Voraussetzungen abzuleiten ver-
suchte. Dieses philosophische Ganze aber, als Bekenntnis eines
sokratisch sterbenden Christen, bildet zugleich den Hauptbestand-
teil derjenigen humanistischen, d. h. aus dem antiken Bildungs-
erlebnis erwachsenen Kernkraft, von der die Philosophie im Mittel-
alter leben und in der Renaissance wieder aufleben sollte. Sie
schließt, ihren philosophischen Fundamenten zufolge, eine sittliche
Haltung in sich, die nicht nur, wie die des christlichen Märtyrers,
sich im Bewußtsein von Gottes Nähe aller tyrannischen Gewalt ent-
rückt weiß, sondern ihr im Namen Gottes als des Weltgesetzes un-
besiegbaren Trotz1 bietet, denn „droben bleibt, das Weltall durch-
schauend, ein vorauswissender Gott, und die immer gegenwärtige
Ewigkeit seines Blickes trifft mit der zukünftigen Beschaffenheit
dition der Consolatio weniger auf Boethius als auf seinen Kommentatoren.
Vgl. E. Taite Silk, The study of Boethius’ Consolatio Philosophiae in the
middle Ages. Proceed. Americ. Philologie. Association Yol. 62, 1931, S.
XXXVIIf. Eine sehr deutliche Vorstellung von dem christlichen Verständnis
der Consolatio vermittelt Franz Hündgen, Das altprovenzalische Boethius-
lied, Oppeln 1884. Ein besonders eindrucksvolles Zeugnis für die ganz mit
christlichen Augen angesehene Trostschrift ist der mit farbigen Holz-
schnitten ausgestattete Druck des Johannes Grüninger, Straßburg 1501.
Vgl. W. Worringer, Die altdeutsche Buchillustration 1912, S. 100 ff. Frl.
Dr. A. M. Renner hat auf meine Bitte die Holzschnitte im Zusammen-
hang mit dem Texte und dem beigedruckten christlichen Kommentare
untersucht und wird die Ergebnisse in einer eigenen Veröffentlichung vor-
legen. Als Probe gebe ich auf Tafel II das über Cons. III, metr. IX
stehende Bild: 'Bewegtes Meer, auf dem ein Segelschiff zieht, grüne Erde,
die Sonne und die Gestirne stellen das Bild der Schöpfung dar. Als
Krönung des Geschaffenen ruft Gottvater das erste Menschenpaar ins Da-
sein. Der flammende Holzstoß im Hintergründe bedeutet das vierte Ele-
ment, das Feuer’. Von den Zügen der neuplatonischen Kosmogonie und
Psychogonie ist also nichts berücksichtigt. Das Bild ist erstmals dem
Hymnus in Cons. I, metr. V vorangestellt. Den meisten Hauptbildern
sind Randbilder beigegeben, die in verschiedener Auswechselung immer
wiederkehren: Dem Bilde über III, IX 'Landschaft mit geflochtenem Wie-
senzaun und Ecke einer gewölbten Säulenhalle’; dem Bilde über I, V die
gleiche Ecke einer gewölbten Säulenhalle und 'Landschaft mit Fachwerk-
haus’ (Formulierungen der Bildinhalte von Renner.)
1 Consol. IV und V. Die oben zitierten Worte bilden den Schluß des fünf-
ten Buches.
Ernst Hoffmann:
mäßig die Quintessenz der gesamten idealistischen Philosophie,
andererseits hot er als Gesinnung, zentriert um die Theodizee, das
philosophische Ganze jener hellenistischen und kaiserzeitlichen, un-
dogmatischen Frömmigkeit, die ich in den vorangehenden Kapiteln
aus ihren geistesgeschichtlichen Voraussetzungen abzuleiten ver-
suchte. Dieses philosophische Ganze aber, als Bekenntnis eines
sokratisch sterbenden Christen, bildet zugleich den Hauptbestand-
teil derjenigen humanistischen, d. h. aus dem antiken Bildungs-
erlebnis erwachsenen Kernkraft, von der die Philosophie im Mittel-
alter leben und in der Renaissance wieder aufleben sollte. Sie
schließt, ihren philosophischen Fundamenten zufolge, eine sittliche
Haltung in sich, die nicht nur, wie die des christlichen Märtyrers,
sich im Bewußtsein von Gottes Nähe aller tyrannischen Gewalt ent-
rückt weiß, sondern ihr im Namen Gottes als des Weltgesetzes un-
besiegbaren Trotz1 bietet, denn „droben bleibt, das Weltall durch-
schauend, ein vorauswissender Gott, und die immer gegenwärtige
Ewigkeit seines Blickes trifft mit der zukünftigen Beschaffenheit
dition der Consolatio weniger auf Boethius als auf seinen Kommentatoren.
Vgl. E. Taite Silk, The study of Boethius’ Consolatio Philosophiae in the
middle Ages. Proceed. Americ. Philologie. Association Yol. 62, 1931, S.
XXXVIIf. Eine sehr deutliche Vorstellung von dem christlichen Verständnis
der Consolatio vermittelt Franz Hündgen, Das altprovenzalische Boethius-
lied, Oppeln 1884. Ein besonders eindrucksvolles Zeugnis für die ganz mit
christlichen Augen angesehene Trostschrift ist der mit farbigen Holz-
schnitten ausgestattete Druck des Johannes Grüninger, Straßburg 1501.
Vgl. W. Worringer, Die altdeutsche Buchillustration 1912, S. 100 ff. Frl.
Dr. A. M. Renner hat auf meine Bitte die Holzschnitte im Zusammen-
hang mit dem Texte und dem beigedruckten christlichen Kommentare
untersucht und wird die Ergebnisse in einer eigenen Veröffentlichung vor-
legen. Als Probe gebe ich auf Tafel II das über Cons. III, metr. IX
stehende Bild: 'Bewegtes Meer, auf dem ein Segelschiff zieht, grüne Erde,
die Sonne und die Gestirne stellen das Bild der Schöpfung dar. Als
Krönung des Geschaffenen ruft Gottvater das erste Menschenpaar ins Da-
sein. Der flammende Holzstoß im Hintergründe bedeutet das vierte Ele-
ment, das Feuer’. Von den Zügen der neuplatonischen Kosmogonie und
Psychogonie ist also nichts berücksichtigt. Das Bild ist erstmals dem
Hymnus in Cons. I, metr. V vorangestellt. Den meisten Hauptbildern
sind Randbilder beigegeben, die in verschiedener Auswechselung immer
wiederkehren: Dem Bilde über III, IX 'Landschaft mit geflochtenem Wie-
senzaun und Ecke einer gewölbten Säulenhalle’; dem Bilde über I, V die
gleiche Ecke einer gewölbten Säulenhalle und 'Landschaft mit Fachwerk-
haus’ (Formulierungen der Bildinhalte von Renner.)
1 Consol. IV und V. Die oben zitierten Worte bilden den Schluß des fünf-
ten Buches.