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Hoffmann, Ernst; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1934/35, 2. Abhandlung): Platonismus und Mystik im Altertum — Heidelberg, 1935

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https://doi.org/10.11588/diglit.40171#0160
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156

Ernst Hoffmann:

In diesen Erwägungen, die Boetliius alle aus Platon kennt, be-
steht sein ‘Trost’. Die jeden Pakt mit den Scheinmächten der Un-
redlichkeit abweisende Erhebung über alles Äußere durch plato-
nisch-stoische Ethik ist der wahre Trost selber, da sie bereits Glück-
seligkeit ist. Kosmisch, logisch und ethisch ist das ‘Gute’ ein und
dasselbe: Es ist das wirkliche Sein, die unbedingte Wahrheit, der
absolute Wert. In der Teilhabe an ihm ist alles eingeschlossen, was
Ziel menschlichen Strebens sein soll und kann, auch die Gottesliebe.
Das Sündenbewußtsein, das der Grieche Proklos bekennt, ist dem
christlichen Dichter der Consolatio fremd. Seine ‘Demut’ besteht
darin, auch den höchsten Gipfel menschlicher Vernunft dem gött-
lichen Geiste unterzuordnen1, aber die ‘Erhebung zum höchsten
Gipfel’ beruht auf dem Eros Platons, nicht auf der Agape des
Paulus. ‘Superata tellus sidera donat’, mit diesen Worten schließt
das vierte Buch.
Es bleibt das konstante Fazit der tausendjährigen Geschichte
des antiken Platonismus, daß die praktische Haltung des Weisen
das Korrelat zu seiner theoretischen Einsicht ist. Die Wahrneh-
mung verlassen, um die Wahrheit zu erstreben, ist schon dasselbe
wie die Willkür opfern, um den Willen zu befreien2. In dieser Hal-
tung ist aber, schon bei Boethius, auch das mystische Erbe mitent-
halten : Alles zeitliche Geschehen ist vor dem ewigen Blicke des gött-
lichen Auges nur ein ‘Augenblick’. Der Augenblick Gottes ist Sym-
bol für die Unendlichkeit des Absolut-Einen: Weil Gottes Blick im
absoluten Sinne ‘einfach’ ist, gerade darum kann nur er das relativ-
‘Vielfache’ umfassen3. Alles ‘Explizite’ liegt ‘implizit’ in ihm4. Das
ganze Problem ‘des Vielen und Einen’ ist in dies Symbol hineinpro-
jiziert: Wie Vielheit sich zu Einheit verhält, so Zeit zu ewiger
Gegenwart, so die Folge zeitlicher Augenblicke zum unzeitlichen
Augenblick Gottes. In ihm ist Alles, auch unser eigenes Können und
Handeln, gesehen, geprüft und zur Rechenschaft gezogen. Wir
nennen unsere Tat ‘notwendig’, sofern sie in Gottes zeitlosem Blick
bereits enthalten ist; wir nennen sie ‘frei’, sofern wir sie nach ihrem
Eigensein in der Zeit betrachten5. Notwendigkeit und Freiheit sind
1 Cons. Y, pros. V, p. 138, v. 48—54.
2 Bei Platon der Unterschied von 8oy.siv und ßoüXeaboa.
3 Consol. IV, pros. YI, p. 108, v. 24: Haec in suae simplicitatis arce com-
posita (sc. divinae mentis stabilitas) multiplicem regendi modum statuit.
4 Der Gebrauch von explicatur und implicatur p. 110,v. 67 gestattet den
oben gewählten Ausdruck. — Unendlichkeit: s. Consol. V, pros. VI, p. 140.
5 Consol. V, pros. VI, p. 143, v. 112ff.
 
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