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LXXI. Ein kurcze 1er vnd auflegung (n. 16—19).

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mel) zurückleiten, wollen wir (von der Sünde) an der Seele genesen.
Dieses Brot hat Gott nicht von Adam nehmen können, denn er
war verdammt. Er und alle seine Nachkommen waren Menschen
und mußten sterben. Sollten wir nun wieder zur Gnade und zum
ewigen Lehen kommen, so mußte Gott die menschliche Natur an-
nehmen, damit der Mensch mit Gott vereinigt werde und ein Mittler
zwischen Gott und dem Menschen wäre.
17. Da erhebt sich die Frage, ob es notwendig war, daß Gott
die menschliche Natur annahm. Ja, es war gar notwendig, wenn
uns armen Menschen die Erlösung zuteil werden sollte. Aber für
Gott den Herrn war dies nicht nötig, er bedarf dessen auch nicht,
ihm ist auch kein Nutzen daraus gekommen. Denn Gott ist ein
so vollkommenes Gut, daß er alle seine Geschöpfe ohne alle Mühe
hundertmal besser machen könnte. Nur sich selbst kann er nicht
besser noch vollkommener machen: er ruht in sich selber. Was
aber hat ihn dazu gebracht, daß er Mensch wurde ? Nichts anderes
als die große Liebe, mit der er uns geliebt hat. „So wie wir durch
unseren ersten Vater Adam alle starben, so sind wir durch Christus
den Herrn alle zum Leben erweckt“.
18. Wir sagen: unser Brot. Wir sind alle Glieder der hei-
ligen christlichen Kirche und werden geistig genährt; denn die
Seele fließt aus Gott. Durch diese Speise leben sie, so wie alle
menschlichen Glieder, Hände, Finger, Füße, Haare und Nägel ihre
leibliche Nahrung empfangen, dieweil sie zusammengefügt und mit
dem Leib vereint sind. Wird aber ein Glied von dem Leib ge-
schieden, so kann ihm die Nahrung des Leibes nichts helfen. Ebenso
steht es mit denen, die geistig Glieder der heiligen römischen Kirche
sind. Ist ein Glied durch Bann oder Ketzerei abgetrennt oder ab-
geschnitten, so können ihm alle seine guten Werke nichts nützen.
19. Wir sagen: gib uns heute unser tägliches Brot. Heute,
nicht morgen, morgen bin ich vielleicht tot. Deshalb gib es uns
heute, damit wir nicht sterben. Denn es ist ja ein Lebensbrot. Das
erkennen wir (nur) durch den Glauben. So ist es auch beim natür-
s elbstv er stündlich; aber auch seiner menschlichen Natur nach ist er von Adam
geschieden, insofern er nichts mit dessen Sünde und Strafe zu tun hat.
1. CUSANUS behandelt diese Frage ausführlich in Sermo 26 [V1 73vb
bis 74va; p 44v—45r), und zwar zunächst im Anschluß an ANSELM VON
C AN TE RBU RY Cur Deus homo? PL 158, 359ff. Dessen Gedanken schweben
ihm offenbar auch hier vor Augen. 16. 1 Cor. 15, 22. Vgl. S. 110 Anm. 1.
18. Vgl. Sermo 18 n. 29, S. 64, 2ff. 20. Vgl. a.a.O. S. 62, 14ff.
26. Vgl. a.a.O. S. 64, 6ff. 31. Vgl. loh. 6, 50.
 
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