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Nikolaus [Hrsg.]; Koch, Josef [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1938/39, 4. Abhandlung): Die Auslegung des Vaterunsers in vier Predigten — Heidelberg, 1940

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https://doi.org/10.11588/diglit.41999#0197
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Zweites Kapitel: Literarhistorische Untersuchung. §3.

197

sich an die drei Sätze des Themas an: 1. Domine, in lumine vultus
tui ambulabunt 2. et in nomine tuo exsultabunt 3. et in iustitia
tua exaltabuntur. Der erste Teil umfaßt wiederum drei Punkte.
Der Wandel im Licht Gottes führt zu einem verschiedenen Ziel,
je nachdem jenes Licht im Zeitablauf verspürt, im Wesen der Dinge
erfaßt oder aus der Lehre Christi greifbar empfangen wird. Auf
der ersten Stufe führt es nur zu einem vagen, sich in Vermutungen
erschöpfenden Licht der Erkenntnis, auf der zweiten zu verstandes-
mäßiger Klarheit, auf der dritten endlich zu dem höchsten Licht
geistiger Einsicht. So ist der Wandel zugleich ein dreifacher Auf-
stieg vom sinnfälligen Bereich zu dem der Phantasie, des Ver-
standes und endlich der Vernunft oder auch eine Einkehr vom
Äußeren zum Inneren, vom Eindruck zum eigentlichen Verständnis.
Der zweite Teil der Predigt soll vom Namen Gottes und Jesu
handeln, der dritte von der Erhöhung, die uns durch Jesus, der
für uns 'die Gerechtigkeit’ geworden ist, zuteil wird. Diese beiden
Teile der Predigt können wir hier beiseite lassen. Der zweite ist
nur kurz ausgeführt (n. 35—42), der dritte überhaupt nicht. Beide
haben auch keine Beziehung zur Vaterunser-Auslegung.
Der grundlegende Gedanke des ersten Teils ist offenbar der
des dreifachen Aufstiegs vom Sinnfälligen aus; darunter ist hier
all das verstanden, was den Zuhörern nach der Meinung des Cu-
sanus bereits bekannt ist: die menschliche Natur, das 'Buch der
Natur’, das Gott selbst geschrieben hat, und das allen vertraute
Vaterunser — eine Dreiheit, die auf den ersten Blick disparat
erscheint. Der Eindruck verliert sich aber schon, wenn man die
zugehörigen Erkenntnisformen beachtet, nämlich die eigene mensch-
liche Erfahrung, die vernünftige Betrachtung der Welt und den
Glauben. Freilich wird all das erst fruchtbar, wenn der Mensch
nach eigentlichem Verständnis sucht, und dazu sind die beiden
Grundbegriffe der Ein- und Ausfaltung (complicatio und expli-
catio) erforderlich1. Sie werden zuerst auf die menschliche Natur
angewandt. Wir wissen aus unserer eigenen Erfahrung, daß unser
Leben sich von der Kindheit bis zum Tod in einer Reihe von
Lebensaltern entfaltet. So ist es auch mit der Menschheit: von
ihrer Kindheit an, die durch die ersten Menschen repräsentiert ist,
stieg sie allmählich auf und erreichte ihren absoluten Höhepunkt,
als sie in Christus mit der ewigen Weisheit geeint wurde (n. 7). Da
1 Vgl. n. 6 (G 10r): Oportet intelligentem in omnibus ita ad compli-
cationem sicut explicationem advertere, ne erret.
 
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