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J. Koch und H. Teske Gusanus-Texte: I. Predigten, 6.
in ihm die ganze menschliche Natur wiederum zusammengefaltet
ist, so umschließt er in sich auch alle Lebensalter, d. h. alle Stufen
der geistigen Entwickelung, und zwar von der sinnlichen Erkennt-
nis zum Vernunftgebrauch, von da zur Schulung durch den Lehr-
meister und endlich zur geistigen Einsicht, die sich in der Weisheit
kundtut (n. 8). Was in Christus beschlossen ist, vermag sich auch
wiederum aus ihm zu entfalten. Von hier aus wird nun die Ge-
schichtstheologie verständlich, von der oben bereits die Rede war1.
Wir sehen jetzt, daß für Cusanus das Entscheidende nicht in
seinen Berechnungen liegt, sondern in der — freilich auf diesen
Berechnungen beruhenden — Hoffnung, daß bald die Zeit der Ein-
sicht und der Weisheit anbricht, in der die Christenheit sozusagen
die Fülle der Zeit erreicht.
Daran knüpft er nun im zweiten Punkt an: er will seinen Zu-
hörern helfen, zu dieser Weisheit aufzusteigen, und der erste Schritt
dazu ist die Erkenntnis des Namens Gottes2. Dazu ist keine
Bücherweisheit nötig, diese würde eher verwirren, sondern nur die
Lesung des von Gott selbst geschriebenen Buches (n. 14—15). Nun
sucht der Prediger die Gedanken, die ihn hei der Abfassung des
1. und 2. Buches von ,,De Docta Ignorantia“ so stark beschäftigten,
religiös auszuwerten: die in der Welt beobachtete Vielheit, Un-
gleichheit und Sonderung (Geschiedenheit) wird nur verständlich,
wenn die Einheit, Gleichheit und Verknüpfung (Gemeinschaft) als
ihr Ursprung betrachtet wird3. Die Einheit ist der Vater, die
Gleichheit der Sohn, die Gemeinschaft der Hl. Geist (n. 17). Da
nun alle irdischen Namen die Vielheit und Geschiedenheit der
Dinge zur Voraussetzung haben, so ist Gott mit solchen Namen
nicht zu bezeichnen; es gibt nur einen Namen des Vaters, das
ist 'das Wort’ oder der Sohn, in dem alle nur möglichen Namen
beschlossen sind, weil er die absolute Gleichheit ist4. Es folgt wei-
ter, daß es dem Geschöpf nicht möglich ist, Gottes Namen auszu-
sprechen, denn das ist nur auf unendliche Weise möglich, d. h.
1 Siehe oben S. 179ff.
2 Vgl. n. 14 (G 11 r): Quoniam autem annuntiatum est prope esse tempus
apparitionis, lavationis ecclesiae in Iordane et descensionis Spiritus Sancti
super eam et illuminationis ipsius in omni sapientia aeterna, primo necesse
est, ut modum ad sapientiam ascendendi habeamus; et non datur prior quam
cognitione nominis eius.
3 Vgl. n. 15 (G llr—v); oben zitiert S. 44 Anm. 11—21 und S. 30
Anm. 6—15.
4 Vgl. n. 18ff.; oben zitiert S. 35 Anm. 11—36, 8.
J. Koch und H. Teske Gusanus-Texte: I. Predigten, 6.
in ihm die ganze menschliche Natur wiederum zusammengefaltet
ist, so umschließt er in sich auch alle Lebensalter, d. h. alle Stufen
der geistigen Entwickelung, und zwar von der sinnlichen Erkennt-
nis zum Vernunftgebrauch, von da zur Schulung durch den Lehr-
meister und endlich zur geistigen Einsicht, die sich in der Weisheit
kundtut (n. 8). Was in Christus beschlossen ist, vermag sich auch
wiederum aus ihm zu entfalten. Von hier aus wird nun die Ge-
schichtstheologie verständlich, von der oben bereits die Rede war1.
Wir sehen jetzt, daß für Cusanus das Entscheidende nicht in
seinen Berechnungen liegt, sondern in der — freilich auf diesen
Berechnungen beruhenden — Hoffnung, daß bald die Zeit der Ein-
sicht und der Weisheit anbricht, in der die Christenheit sozusagen
die Fülle der Zeit erreicht.
Daran knüpft er nun im zweiten Punkt an: er will seinen Zu-
hörern helfen, zu dieser Weisheit aufzusteigen, und der erste Schritt
dazu ist die Erkenntnis des Namens Gottes2. Dazu ist keine
Bücherweisheit nötig, diese würde eher verwirren, sondern nur die
Lesung des von Gott selbst geschriebenen Buches (n. 14—15). Nun
sucht der Prediger die Gedanken, die ihn hei der Abfassung des
1. und 2. Buches von ,,De Docta Ignorantia“ so stark beschäftigten,
religiös auszuwerten: die in der Welt beobachtete Vielheit, Un-
gleichheit und Sonderung (Geschiedenheit) wird nur verständlich,
wenn die Einheit, Gleichheit und Verknüpfung (Gemeinschaft) als
ihr Ursprung betrachtet wird3. Die Einheit ist der Vater, die
Gleichheit der Sohn, die Gemeinschaft der Hl. Geist (n. 17). Da
nun alle irdischen Namen die Vielheit und Geschiedenheit der
Dinge zur Voraussetzung haben, so ist Gott mit solchen Namen
nicht zu bezeichnen; es gibt nur einen Namen des Vaters, das
ist 'das Wort’ oder der Sohn, in dem alle nur möglichen Namen
beschlossen sind, weil er die absolute Gleichheit ist4. Es folgt wei-
ter, daß es dem Geschöpf nicht möglich ist, Gottes Namen auszu-
sprechen, denn das ist nur auf unendliche Weise möglich, d. h.
1 Siehe oben S. 179ff.
2 Vgl. n. 14 (G 11 r): Quoniam autem annuntiatum est prope esse tempus
apparitionis, lavationis ecclesiae in Iordane et descensionis Spiritus Sancti
super eam et illuminationis ipsius in omni sapientia aeterna, primo necesse
est, ut modum ad sapientiam ascendendi habeamus; et non datur prior quam
cognitione nominis eius.
3 Vgl. n. 15 (G llr—v); oben zitiert S. 44 Anm. 11—21 und S. 30
Anm. 6—15.
4 Vgl. n. 18ff.; oben zitiert S. 35 Anm. 11—36, 8.