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Nikolaus [Hrsg.]; Koch, Josef [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1938/39, 4. Abhandlung): Die Auslegung des Vaterunsers in vier Predigten — Heidelberg, 1940

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https://doi.org/10.11588/diglit.41999#0214
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214 J. Koch und H. Teske Gusanus-Texte: I. Predigten, 6.
der Zwietracht und Sünde sind, zwischen Gott, dessen Macht seine
Barmherzigkeit ist, und uns, die wir nur bitten können und immer
wieder bitten müssen. Durch diese ständige Gegenüberstellung er-
hält die Darstellung eine Dynamik, die uns vergessen läßt, daß
wir eine 'Auslegung’ vor uns haben.
Der zweite Kunstgriff ist die Verbindung der formalen
mit der inhaltlichen Disposition in der Darstellung. Ein Bei-
spiel wird uns das am besten zeigen. Bei der zweiten Bitte legt
Cusanus zuerst dar (n. 14), daß das Beich des Vaters der Hl. Geist
ist. Dann (n. 15) wendet er sich zum Menschen und leitet für ihn
die Erkenntnis ab, daß Gott das Beich aller Wonne und Liebe ist.
,,Darum sollen wir mit großem Verlangen bitten, daß dieses Reich
. . zu uns komme“. Damit ist der Übergang zur Erklärung der
Bitte gewonnen (denn bisher war ja nur der Begriff 'Reich’ er-
klärt). Hier kommen nun die in der formalen Disposition gege-
benen Mittel für ein tieferes Verständnis zur Geltung. Der An-
schaulichkeit wegen sei die Erklärung der Bitte (n. 16—17a) über-
sichtlich wiedergegeben:
Was ergibt sich aus der Tatsache, daß wir bitten: ,,Zu uns komme
dein Reich“
1. für unseren Glauben?
Trotz unserer Geschöpflichkeit sind wir fähig, Kinder Gottes zu sein
und sein Reich als ewiges Erbe zu besitzen.
2. für unsere Hoffnung?
Unsere höchste Hoffnung soll sein, das Reich der ewigen Freude zu
besitzen. Diese Hoffnung beruht aber nicht auf unserer eigenen
Fähigkeit, sondern nur auf Gottes Gnade. Daß wir um das Reich
bitten müssen, zeigt, daß wir kein Recht haben, es zu fordern; daß
wir aber darum bitten dürfen, zeigt, daß Gottes Gnade es uns nicht
verweigern will.
3. für unser Verlangen?
Da das Reich Gottes zukünftig ist und erst nach dieser vergäng-
lichen Zeit kommt, müssen wir es nicht nur herbeisehnen, sondern
uns auch Gott so wohlgefällig machen, daß sein Reich zu uns kom-
men kann. Denn das zeigt der Wortlaut der Bitte deutlich: wir
können nur zu diesem Reich kommen, indem es zu uns kommt.
Mancher wird vielleicht denken, daß die Disposition schlecht
ist; denn offenbar steht unter 2. und 3. mancherlei, was mehr
den Glauben als die Hoffnung und das Verlangen betrifft. Und
gewiß könnte man ohne besondere Schwierigkeit im Anschluß an
diese Bitte um das Reich eine andere Disposition entwerfen, in
der die einzelnen Faktoren schärfer voneinander getrennt wären.
 
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