Drittes Kapitel: Erläuterungen. §2.
219
zum Hl. Geist, wie das Wort „geschehe“ zum Sohn. In der theolo-
gischen Schulsprache, die er hier vermeidet, würde man sagen:
der Wille, und damit die Schöpfung, wird dem Hl. Geist appropri-
iert1. Von hier aus ist nun die gesuchte Proportionalität unschwer
zu finden. Denn bei der Erörterung des zweiten Artikels (n. 11)
finden wir nicht nur die Lehre, daß der Sohn der „Name“ des
Vaters ist, sondern auch die nähere Erklärung, daß ein wahrer
Name „ähnlich dem begrifflichen Wort (ist), das aus dem Ver-
mögen der Vernunft fließt und deren Gleichnis ist“. Cusanus kann
also das Verhältnis, in dem der Sohn zum Vater steht, in etwa
vergleichen mit dem Verhältnis, in dem die geschaffene Welt
zum Hl. Geist steht, von dem der dritte Artikel (n. 14) handelt.
Dabei gibt er nichts von seinem Prinzip preis: Infiniti et finiti
nulla est proportio2. Abgesehen von allem andern, deutet er den
Unterschied zwischen dem Ausgang des Sohnes und der Erschaf-
fung der Welt schon damit an, daß er den Sohn als das Gleichnis
des Vaters bezeichnet, vom Geschöpf aber sagt, daß es nur inso-
fern etwas ist, als es Gottes Bild ist (n. 19).
Um nun die Gliederung der vier letzten Artikel zu ver-
stehen, muß man von dem Schöpfungsartikel ausgehen. Läßt sich
die Schöpfung, wie wir sahen, als explicatio begreifen, so ist die
menschliche Natur die complicatio alles Geschaffenen, da sie die
himmlische (geistige) und irdische (sinnliche) Natur in sich be-
schließt. Aus ihrem Seinsverhältnis ergibt sich, daß diese jener
untertan sein muß; in der konkreten Wirklichkeit aber stellt der
Mensch in sich den Widerstreit zwischen beiden fest (n. 20. 22).
Die Bitte „Dein Wille geschehe im Himmel und auf Erden“ öffnet
ihm die Augen über seinen Zustand. Cusanus umschreibt ihn mit
drei Worten: 1. wir besitzen aus uns selbst eine geschwächte Natur;
2. deshalb können wir ohne Gottes Gnade dem Fleisch und der
Sinnlichkeit nicht widerstehen; 3. „unsere irdische Natur ist für
das himmlische Gesetz, durch welches sie der göttlichen Ewigkeit
teilhaftig wird, ohne göttliche Gnade nicht empfänglich“ (n. 23).
Hier ist die ganze Problematik des menschlichen Daseins scharf
Umrissen. Philosophisch gesprochen, ist der Mensch eine compli-
catio aus unitas, alteritas und connexio; die aequalitas fehlt ihm.
Die konkrete Lage des Menschen ist aber nicht nur philosophisch,
sondern vor allem religiös gesehen, und zwar schon im Hinblick
1 Über die Appropriation vgl. z. B. Thomas S. theol. I q. 39 a. 7—9.
2 De Docta Ignorantia I c. 3, S. 8, 20; Pr. 16, S. 30, 20.
219
zum Hl. Geist, wie das Wort „geschehe“ zum Sohn. In der theolo-
gischen Schulsprache, die er hier vermeidet, würde man sagen:
der Wille, und damit die Schöpfung, wird dem Hl. Geist appropri-
iert1. Von hier aus ist nun die gesuchte Proportionalität unschwer
zu finden. Denn bei der Erörterung des zweiten Artikels (n. 11)
finden wir nicht nur die Lehre, daß der Sohn der „Name“ des
Vaters ist, sondern auch die nähere Erklärung, daß ein wahrer
Name „ähnlich dem begrifflichen Wort (ist), das aus dem Ver-
mögen der Vernunft fließt und deren Gleichnis ist“. Cusanus kann
also das Verhältnis, in dem der Sohn zum Vater steht, in etwa
vergleichen mit dem Verhältnis, in dem die geschaffene Welt
zum Hl. Geist steht, von dem der dritte Artikel (n. 14) handelt.
Dabei gibt er nichts von seinem Prinzip preis: Infiniti et finiti
nulla est proportio2. Abgesehen von allem andern, deutet er den
Unterschied zwischen dem Ausgang des Sohnes und der Erschaf-
fung der Welt schon damit an, daß er den Sohn als das Gleichnis
des Vaters bezeichnet, vom Geschöpf aber sagt, daß es nur inso-
fern etwas ist, als es Gottes Bild ist (n. 19).
Um nun die Gliederung der vier letzten Artikel zu ver-
stehen, muß man von dem Schöpfungsartikel ausgehen. Läßt sich
die Schöpfung, wie wir sahen, als explicatio begreifen, so ist die
menschliche Natur die complicatio alles Geschaffenen, da sie die
himmlische (geistige) und irdische (sinnliche) Natur in sich be-
schließt. Aus ihrem Seinsverhältnis ergibt sich, daß diese jener
untertan sein muß; in der konkreten Wirklichkeit aber stellt der
Mensch in sich den Widerstreit zwischen beiden fest (n. 20. 22).
Die Bitte „Dein Wille geschehe im Himmel und auf Erden“ öffnet
ihm die Augen über seinen Zustand. Cusanus umschreibt ihn mit
drei Worten: 1. wir besitzen aus uns selbst eine geschwächte Natur;
2. deshalb können wir ohne Gottes Gnade dem Fleisch und der
Sinnlichkeit nicht widerstehen; 3. „unsere irdische Natur ist für
das himmlische Gesetz, durch welches sie der göttlichen Ewigkeit
teilhaftig wird, ohne göttliche Gnade nicht empfänglich“ (n. 23).
Hier ist die ganze Problematik des menschlichen Daseins scharf
Umrissen. Philosophisch gesprochen, ist der Mensch eine compli-
catio aus unitas, alteritas und connexio; die aequalitas fehlt ihm.
Die konkrete Lage des Menschen ist aber nicht nur philosophisch,
sondern vor allem religiös gesehen, und zwar schon im Hinblick
1 Über die Appropriation vgl. z. B. Thomas S. theol. I q. 39 a. 7—9.
2 De Docta Ignorantia I c. 3, S. 8, 20; Pr. 16, S. 30, 20.