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Nikolaus [Hrsg.]; Koch, Josef [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1938/39, 4. Abhandlung): Die Auslegung des Vaterunsers in vier Predigten — Heidelberg, 1940

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https://doi.org/10.11588/diglit.41999#0227
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Drittes Kapitel: Erläuterungen. § 3.

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bindung zum Vorhergehenden hergestellt; die Bitte um das Reich
ist ja die Bitte um die Gemeinschaft mit Gott im Hl. Geist.
Drittes Beispiel: Wir haben oben1 gesehen, daß sich die Struk-
tur der Auslegung der Brotbitte aus dem erklärt, was Cusanus
unmittelbar vorher über das Verhältnis der himmlischen zur irdi-
schen Natur gesagt hat. Die Verknüpfung zwischen beiden Texten
wird wieder durch das letzte Glied des erstem hergestellt. Nach-
dem Nicolaus nämlich aus den einzelnen Worten der dritten Bitte
die Ordnung der Schöpfung und des Geschaffenen abgeleitet hat,
wendet er sich zuletzt zu der Bitte als solcher (n. 23). Die Tat-
sache, daß wir immer wieder darum bitten müssen, Gottes Wille
geschehe auf Erden, d. h. in unserer irdischen Natur, ebenso wie
im Himmel, d. h. in unserer himmlischen Natur, zeigt uns, daß
wir selbst unfähig sind, die rechte Ordnung zwischen beiden Na-
turen herzustellen. Wir bedürfen dazu der Gnade Gottes. Mit
diesem Gedanken ist die Verknüpfung mit der Auslegung der Brot-
bitte gegeben, wie die Ausführungen zu Beginn von n. 24 klar
zeigen.
Das letzte Beispiel möge zeigen, daß Cusanus die Verknüp-
fung der einzelnen Glieder nicht schematisch behandelt. Bei Aus-
legung der fünften Bitte erklärt er zunächst, wie auch bei den
übrigen, die beiden Hauptbegriffe, Schuld und Vergeben. Dann
legt er in n. 37 ausführlich die Verknüpfung der Bitte um Ver-
gebung der Schuld mit der Brotbitte dar. Das Wörtchen „und“,
das erstere einleitet, gibt ihm die Veranlassung, explicite von dieser
Verknüpfung zu sprechen: nur wenn wir mit Christus als Glieder
seines Leibes im Glauben vereint sind, können wir um Vergebung
der Schuld bitten; aus uns selbst sind wir unfähig dazu.
Diese Beispiele mögen genügen. Sie zeigen, daß man für eine
rechte Würdigung der Architektonik des Cusanus das Prinzip der
lebendigen Verknüpfung der Glieder des Ganzen ebenso im Auge
behalten muß wie das ihrer klaren Trennung und harmonischen
Anordnung. Unsere Beilage III bietet eine tabellarische Übersicht
über den Gesamtaufbau der Vaterunser-Auslegung. Sie vermag
aber die innere Verknüpfung der Glieder nicht in die Erscheinung
treten zu lassen. Die obigen Erläuterungen genügen aber wohl,
um dem Leser — den Cusanus sich wünscht — zu helfen, daß er
sie sich hinzudenkt.
1 Vgl. S. 222ff.

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