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Nikolaus [Hrsg.]; Koch, Josef [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1938/39, 4. Abhandlung): Die Auslegung des Vaterunsers in vier Predigten — Heidelberg, 1940

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https://doi.org/10.11588/diglit.41999#0234
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234 J. Koch und H. Teske Gusanus-Texte: I. Predigten, 6.
theologischen Charakter des Werkes bestreiten. Denn es geht vom
Glauben als etwas Gegebenem aus und sucht ihn zu verstehen.
Freilich sagt Nicolaus in „De Docta Ignorantia“ III c. 11 (151,
26ff.) •— dem Kapitel, das man sozusagen als Verbindungsstück
zwischen dem Hauptwerk und der Vaterunser-Auslegung betrach-
ten kann — in jedem Wissensgebiet gebe es erste Prinzipien, die
man glauben müsse. Denn wer zu einer Lehre aufsteigen wolle,
müsse zuerst das glauben, was ihm den Aufstieg überhaupt ermög-
licht. Der Glaube enthalte also in sich alles, was Gegenstand der
Einsicht werden könne; anderseits sei die Einsicht die Entfaltung
des Glaubens. So gebe der Glaube der Einsicht die rechte Rich-
tung, die Einsicht dem Glauben die Wirkung in die Weite (151,
27ff.). Danach könnte man meinen, Cusanus fasse den Begriff
des Glaubens allzu weit, so daß er mit dem christlichen Glauben
nur noch den Namen gemein hat. Das wäre aber irrig; denn ebenso
wie es ihm in dem genannten Kapitel wirklich um die Geheimnisse
des christlichen Glaubens geht, so bildet er auch in der Vaterunser-
Auslegung den Ausgangspunkt1.
Nun darf man aber auch die andere Seite nicht übersehen:
Cusanus hält die Einsicht, das Verständnis für ebenso wichtig wie
den Glauben. Denn wie in Jesu Menschheit seine Gottheit ver-
borgen war, so ist alle Weisheit, der wir überhaupt teilhaftig wer-
den können, in den schlichten Worten der Lehre Christi verborgen.
Darum genügt es nicht, Trost aus ihr zu schöpfen, sondern man
muß sie zu verstehen suchen, und hier hat Gott den einen vor dem
andern durch ein tieferes Verständnis ausgezeichnet (vgl. n. 1,
S. 24, 4 ff.). So wirkt bei der Auslegung des Vaterunsers dreierlei
zusammen: die Vernunft, die von Natur aus eine Anlage zur Wahr-
heit in sich birgt, der Glaube, der eine Gnade Gottes ist, und die
Erleuchtung, die er durch die Worte des Vaterunsers selbst gibt
(n. 5, S. 26, 12ff.; vgl. 16, 24). Lassen diese Ausführungen schon
in etwa erkennen, daß das Verständnis, welches Cusanus sucht,
nicht Überwindung oder Aufhebung des Glaubens bedeutet, so sei
das doch auch ausdrücklich an Hand seiner Erkenntnisterminologie
gezeigt2.
1 Vgl. oben S. 209.
2 Rein formell gehört die folgende Untersuchung zum letzten Paragraph,
dessen Gegenstand die Terminologie der Auslegung ist. Wir nehmen sie hier
vorweg, weil die Untersuchung der Erkenntnisterminologie der Grundlegung
der Theologie dient. Wie man sehen wird, ist die Fragestellung in § 6 eine
andere. — Wie in den Paragraphen, welche die Sprache der Auslegung behan-
 
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