236 J. Koch und H. Teske Cusanus-Texte: I. Predigten, 6.
(z. B. 32, 6) oder eines Satzes (42, 4; 48, 14) eindringen; 80, 5
heißt es von dem Gesetz der Nächstenliebe, es sei so vernünftig
und klar, daß jeder es versteht und billigen muß. Auf diese Stufe
der Erkenntnis kommt es Cusanus besonders an: die Gläubigen,
die er unterrichten will, sollen in den erhabenen Sinn des Vater-
unsers eindringen, und ihr Verständnis soll immer tiefer und klarer
werden (vgl. 26, 3f.). Eine solche Einsicht hebt natürlich den
Glauben nicht auf, sondern kann nur in ihm bestehen; sie ist zu-
dem mit dem Bewußtsein verbunden, daß diese Lehre unergründ-
lich ist (44, 9).
Die beiden letzten Worte der Skala sind wijfen und begrifen.
WiHen (26, 5. 8. 13; 28, 19; 48, 15; 70, 16; 88, 17. 21) bedeutet
die Wahrheit erkennen; 26, 8 zeigt, daß es ein Wissen außer dem
Glauben, 26, 13f., daß es ein solches im Glauben gibt. Wifjen
ist aber nicht immer soviel wie begrifen, wie sich aus dem oben
zitierten Satz 88, 17ff. ergibt. Das Wissen im Glauben geht also
grundsätzlich nicht über das vorher gekennzeichnete Glaubens-
verständnis hinaus; wenn Cusanus das Wort wifjen gebraucht,
so will er damit der Überzeugung Ausdruck geben, daß in der
Lehre Christi die Wahrheit gegeben ist (vgl. 26, 14; 48, 15; 88, 21).
Um den Sinn von begrifen festzustellen, müssen wir etwas
weiter ausholen und die ganze Wortgruppe begriff, begrifflich, vn-
begrifflich, vnbegrifflicheit und begrifen betrachten.
Begriff findet sich nur 60, 4L: zu dem ewigen ondoitlichen befes
ader begriff des oberften gutes (komen). Das Wort entspricht dem
lateinischen comprehensio1. In der Anwendung auf den Zustand der
ewigen Seligkeit, um den es hier geht, bedeutet das Wort nicht be-
greifen im Sinne von vollständigem Erkennen oder Durchschauen,
sondern ergreifen, d. h. gegenwärtig haben2 *. Befes und begriff sind
also fast synonym. Wie in der lateinischen Terminologie dem jen-
seitigen Status comprehensoris der diesseitige Status viatoris ent-
spricht, so beschreibt Cusanus unsern jetzigen Zustand als den
von wegfertigen wendeieren (64, 18. 20 usw.; vgl. Pr. 213, S. 92,
1 Dieser Terminus (wie auch comprehensor und comprehendere) geht auf
1 Kor. 9, 24 und Phil. 3, 12 zurück; vgl. Thomas S. theol. III q. 15 a. 10:
„aliquis dicitur viator ex eo quod tendit in beatitudinem; comprehensor
autem dicitur ex hoc quod iam beatitudinem obtinet, secundum illud I Cor. 9:
rsic currite ut comprehendatis’ et Phil. 3: 'sequor autem, si quomodo com-
prehendam5.“
2 Vgl. Thomas Sent. IV d. 49 q. 4 a. 5 q. 1: ,,comprehensio . . nihil
est aliud quam in praesentia Deum habere et in se ipso tenere.“
(z. B. 32, 6) oder eines Satzes (42, 4; 48, 14) eindringen; 80, 5
heißt es von dem Gesetz der Nächstenliebe, es sei so vernünftig
und klar, daß jeder es versteht und billigen muß. Auf diese Stufe
der Erkenntnis kommt es Cusanus besonders an: die Gläubigen,
die er unterrichten will, sollen in den erhabenen Sinn des Vater-
unsers eindringen, und ihr Verständnis soll immer tiefer und klarer
werden (vgl. 26, 3f.). Eine solche Einsicht hebt natürlich den
Glauben nicht auf, sondern kann nur in ihm bestehen; sie ist zu-
dem mit dem Bewußtsein verbunden, daß diese Lehre unergründ-
lich ist (44, 9).
Die beiden letzten Worte der Skala sind wijfen und begrifen.
WiHen (26, 5. 8. 13; 28, 19; 48, 15; 70, 16; 88, 17. 21) bedeutet
die Wahrheit erkennen; 26, 8 zeigt, daß es ein Wissen außer dem
Glauben, 26, 13f., daß es ein solches im Glauben gibt. Wifjen
ist aber nicht immer soviel wie begrifen, wie sich aus dem oben
zitierten Satz 88, 17ff. ergibt. Das Wissen im Glauben geht also
grundsätzlich nicht über das vorher gekennzeichnete Glaubens-
verständnis hinaus; wenn Cusanus das Wort wifjen gebraucht,
so will er damit der Überzeugung Ausdruck geben, daß in der
Lehre Christi die Wahrheit gegeben ist (vgl. 26, 14; 48, 15; 88, 21).
Um den Sinn von begrifen festzustellen, müssen wir etwas
weiter ausholen und die ganze Wortgruppe begriff, begrifflich, vn-
begrifflich, vnbegrifflicheit und begrifen betrachten.
Begriff findet sich nur 60, 4L: zu dem ewigen ondoitlichen befes
ader begriff des oberften gutes (komen). Das Wort entspricht dem
lateinischen comprehensio1. In der Anwendung auf den Zustand der
ewigen Seligkeit, um den es hier geht, bedeutet das Wort nicht be-
greifen im Sinne von vollständigem Erkennen oder Durchschauen,
sondern ergreifen, d. h. gegenwärtig haben2 *. Befes und begriff sind
also fast synonym. Wie in der lateinischen Terminologie dem jen-
seitigen Status comprehensoris der diesseitige Status viatoris ent-
spricht, so beschreibt Cusanus unsern jetzigen Zustand als den
von wegfertigen wendeieren (64, 18. 20 usw.; vgl. Pr. 213, S. 92,
1 Dieser Terminus (wie auch comprehensor und comprehendere) geht auf
1 Kor. 9, 24 und Phil. 3, 12 zurück; vgl. Thomas S. theol. III q. 15 a. 10:
„aliquis dicitur viator ex eo quod tendit in beatitudinem; comprehensor
autem dicitur ex hoc quod iam beatitudinem obtinet, secundum illud I Cor. 9:
rsic currite ut comprehendatis’ et Phil. 3: 'sequor autem, si quomodo com-
prehendam5.“
2 Vgl. Thomas Sent. IV d. 49 q. 4 a. 5 q. 1: ,,comprehensio . . nihil
est aliud quam in praesentia Deum habere et in se ipso tenere.“