Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Drittes Kapitel: Erläuterungen. §5.

237

20ff.), die auf Gottes Reich hoffen (42, 12) und warten (24, 13;
42, 27).
Die abgeleiteten Worte begrifflich und vnbegrifflich erhalten
ihren Sinn von dem Hauptwort aus, und zwar in doppelter Rich-
tung: a) fähig, etwas zu ergreifen oder zu erfassen (42, 8 = capax
42, 7■—-11*) bzw. unfähig dazu (42, 26 = incapax [DI 136, 11]
oder impotens 78, 2*). Dem entsprechend vnbegrifflicheit (78, 2
= incapacitas De Conc. Cath. 36, 2). b) fähig, erfaßt zu werden
(24, 8; 34, 81). Auch begrifflich wort (36, 3) gehört hierher, nähert
sich aber doch bereits dem modernen 'begrifflich’.
Das Verbum begrifen bedeutet dreierlei: a) umfassen, in sich
umschließen, enthalten (24, 6; 28, 16; 32, 11. 13. 14; 38, 18;
78, 13. 16). Die sachliche Erklärung bietet die Umschreibung haben
in irer macht (32, 9). Sie entspricht genau dem lateinischen in po-
tentia habere (im Gegensatz zu formaliter oder actu habere), d. h. eine
der Vollkommenheit nach höhere Natur enthält virtuell in sich die
niedern2. In der Parallelstelle 130, 16 heißt es: in altiori natura
est inferior. Sonst entspricht begrifen complecti (18, 26) und vor
allem der von Cusanus seit ,,De Docta Ignorantia“ viel gebrauchte
Terminus complicare (32, 13*; 92, 26. 28; 94, 1; vgl. Pr. 16,
S. 14, 4. 14 usw.)3. b) Wenn es 66, 13f. heißt: (aljo) is alles das,
da durch die fynne anfyhen, taften . . ., begrifen nit der waer lichnam
Chrifti, funder die warzeichen . . des lichnams usw., so bedeutet das,
daß die Sinne nicht fähig sind, den wahren Leib Christi zu erfassen,
wie denn überhaupt difff ertrich der fynlicheit ver ift von dem erkente-
nijff gottes (34, lf.; vgl. 50, 8). c) Nur an zwei Stellen hat begrifen
den Sinn von begreifen, völlig verstehen oder durchschauen, näm-
lich 28, 20, wo den Theologen die Fähigkeit zugeschrieben wird,
die Ordnung der christlichen Lehre (nicht etwa diese selbst!) zu
begreifen, und in dem oben im Text zitierten Satz (88, 17f.), wo
die Unbegreiflichkeit der ewigen Freude betont wird.
Es ergibt sich also aus der Analyse dieser ganzen Wortgruppe,
daß Cusanus von einer rationalistischen Haltung weit entfernt ist.
1 Vgl. dazu De Beryllo c. 3 (ed. L. Baur, S. 5, 10): (cognoscitivis sub-
stantiis) „se praebet ipse conditor modo quo capere possunt visibilem.“
2 Vgl. De Conc.Cath.il c. 15 (ed. G. Kallen, S. 164,12): „aliosomnes
illa collectio in potentia habet“ etc. Der Hinweis in der Anmerkung 32, 9—15
auf Liber de Causis prop. et com. 9 ist unrichtig, da der Gedanke, die
obersten Naturen beherrschten die übrigen, Cusanus hier fern liegt. Statt
„und beherrschen“ muß es in der Übersetzung heißen: „der Kraft nach“.
3 Darum hat auch eynjaldicheit 24, 6 einen spezifisch cusanischen Sinn.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften