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Nikolaus [Hrsg.]; Koch, Josef [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1938/39, 4. Abhandlung): Die Auslegung des Vaterunsers in vier Predigten — Heidelberg, 1940

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https://doi.org/10.11588/diglit.41999#0241
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Drittes Kapitel: Erläuterungen. §5.

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um die eine göttliche Natur in drei Personen oder um die göttliche
und die menschliche Natur in der einen göttlichen Person Christi
handeln. Später gewann der Begriff nach einer andern Seite hin
neue Bedeutung, nämlich in der Sünden- und Gnadenlehre. Hier
ging es vor allem um die Unterscheidung der Erbsünde als Sünde
der Natur von allen persönlichen Sünden und um die Abgrenzung
des Bereiches der Natur von dem der Gnade. Iohannes Scotus
Eriugena macht dann den Begriff Natur zum Grundbegriff seines
philosophisch-theologischen Systems, und von ihm dürfte Cusanus
die entscheidende Anregung erhalten haben.
In der Vaterunser-Auslegung begegnet uns der Begriff nature
zum ersten Male 26, 17: „Der orfprungk, das ift die gotlike nature,
ift in den Worten: Vater vnfer . . . dyn rieh.“ Warum sagt Cusanus
nicht einfach: „der orfprungk, das ift got“ usw. ? Hinter jener
Formulierung steckt das bekannte theologische Axiom: „Opera
trinitatis indivisa sunt“1, d. h. die Werke der Dreifaltigkeit gehen
nicht von einer einzelnen Person aus, sondern von allen dreien,
insofern sie eines Wesens sind. Nun deutet Cusanus in den drei
ersten Artikeln valer, name und rieh trinitarisch, stellt aber jenes
Prinzip voraus, um die Verbindung zum 4. Artikel zu sichern. Die
Formel „in den hymelen“ gibt ihm Gelegenheit, die Hierarchie der
Geschöpfe und ihr Verhältnis zu Gott zu skizzieren (n. 9—10,
S. 32 f.)2. Er unterscheidet hier bereits die Geschöpfe nach ihren
Naturen, und zwar offenbar deshalb, weil er auf die spätere Schil-
derung des Gegensatzes von geistiger und körperlicher Natur und
ihre Verbindung im Menschen (n. 20—23, S. 48ff.) vorbereiten will.
Da wir nun „von vns felbs krancker naturen“ sind, so können wir
die Harmonie zwischen beiden Naturen aus eigener Kraft nicht
hersteilen. Das vermag nur Christus, da in ihm die menschliche
Natur mit Gottes Sohn vereinigt ist (n. 27, S. 60, 15f.). Also muß
der einzelne Mensch mit Christus verbunden sein. Hier bekommt,
wie wir sehen werden, der Begriff des Lebens seine Bedeutung.
Die letzte Anwendung des Begriffs Natur findet sich bei der Aus-
legung der Bitte um Vergebung der Schuld: unsere menschliche
Natur ist nur in Christus sündenrein; da sie nun in ihm das Werk-
zeug der Genugtuung war, so kann sie in uns allen durch die Ver-
einigung mit ihm von der Erbschuld und allen andern Sünden
1 Vgl. Alanus ab Insulis Theol. Regulae, Reg. 61, PL 210, 650.
2 Vgl. Iohannes Scotus Eriugena, De Divisione Naturae I c. 4, PL
122, 444.
16 Sitzungsberichte d. Heidelb. Akad., phil.-hist. Kl. 1938/39. 4. Abh.
 
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