266 J. Koch und H. Teske Gusanus-Texte: I. Predigten, 6.
2. Die Abgrenzung der Sphäre des Absoluten
von der des Kontrakten1.
Bei der Behandlung der innern Struktur der Auslegung haben
wir die Bedeutung der Begriffe unitas — aequalitas — connexio für
deren ersten Teil nachgewiesen. Die entsprechenden deutschen
Termini sind: eyns — glich ■— vereynigung (40, 6ff.; 46, 2ff.). Daß
sie wirklich die Korrelate sind, läßt sich mit vielen Parallelen nach-
weisen; man vergleiche insbesondere 44, 11—21*; 30, 6—15*;
40, 5—12*). Was aber sofort auffällt, ist die verschiedene Aus-
drucksweise: im Lateinischen Abstrakta, im Deutschen zwei Kon-
kreta und ein Abstraktum. Der Grund für diese Verschiedenheit
liegt nicht etwa darin, daß die deutsche Sprache damals die ent-
sprechenden Abstrakta nicht hatte, sondern im Gang der Aus-
legung. Cu sanus liegt daran nachzuweisen, daß die ersten drei
Artikel des Vaterunsers (Anrede und die beiden ersten Bitten) uns
über die Dreifaltigkeit belehren. Bei der Anrede war der Nach-
weis leicht, weil hier ja das Wort Vater gegeben ist; bei den beiden
Bitten war das keineswegs der Fall, wie man aus der ausdrück-
lichen Rechtfertigung seiner gewagten Exegese in denNotae (n.47ff.)
ersieht. Cusanus hat also sozusagen bei jedem Satz, den er in
diesem Teil der Auslegung schreibt, die Dreiheit der göttlichen Per-
sonen vor Augen, und deshalb redet er konkret — solange das mög-
lich ist. Bei der dritten Person kann er nämlich den abstrakten
Terminus vereynigung nicht umgehen. Aus der Auslegung ergibt
sich aber, daß er mit ihm eine konkrete Vorstellung verband, und
wir haben durch die Wahl des Wortes 'Gemeinschaft’ versucht, ihr
in der Übersetzung in etwa gerecht zu werden.
Dieser Ternär eyns — glich ■■— vereynigung dient nun wesent-
lich zur Abgrenzung der Sphäre des Absoluten, Göttlichen, von der
des Kontrakten, Geschöpflichen. Für diese gilt nämlich ein ganz
anderer Ternär: vijl — vngelich —- gejundert vnd gedeilt (multitudo
-— inaequalitas — divisio). Am Anfang aller Dinge steht aber der
eine Vater als ihr Ursprung. Cusanus macht das an den Zahlen
klar. Sie entstehen alle aus der Einheit, indem diese vielmals
gesetzt wird. Die Einheit selbst ist aber keine Zahl, wenn sie auch
den Zahlen ihr Zahlsein verleiht2. So sind alle creaturen von eyme
1 Zu dieser Terminologie vgl. DI I c. 2, S. 7, 16ff.; II c. 4, S. 73, lff.
2 Nachträglich wurde ich noch auf eine Stelle in „De Beryllo“ auf-
merksam, die zu n. 7, S. 30, 6ff. einen guten Kommentar bietet: „Videtur
autem ipsi Deo magis convenire ipsum 'unum’ quam aliud nomen. Ita vocat
2. Die Abgrenzung der Sphäre des Absoluten
von der des Kontrakten1.
Bei der Behandlung der innern Struktur der Auslegung haben
wir die Bedeutung der Begriffe unitas — aequalitas — connexio für
deren ersten Teil nachgewiesen. Die entsprechenden deutschen
Termini sind: eyns — glich ■— vereynigung (40, 6ff.; 46, 2ff.). Daß
sie wirklich die Korrelate sind, läßt sich mit vielen Parallelen nach-
weisen; man vergleiche insbesondere 44, 11—21*; 30, 6—15*;
40, 5—12*). Was aber sofort auffällt, ist die verschiedene Aus-
drucksweise: im Lateinischen Abstrakta, im Deutschen zwei Kon-
kreta und ein Abstraktum. Der Grund für diese Verschiedenheit
liegt nicht etwa darin, daß die deutsche Sprache damals die ent-
sprechenden Abstrakta nicht hatte, sondern im Gang der Aus-
legung. Cu sanus liegt daran nachzuweisen, daß die ersten drei
Artikel des Vaterunsers (Anrede und die beiden ersten Bitten) uns
über die Dreifaltigkeit belehren. Bei der Anrede war der Nach-
weis leicht, weil hier ja das Wort Vater gegeben ist; bei den beiden
Bitten war das keineswegs der Fall, wie man aus der ausdrück-
lichen Rechtfertigung seiner gewagten Exegese in denNotae (n.47ff.)
ersieht. Cusanus hat also sozusagen bei jedem Satz, den er in
diesem Teil der Auslegung schreibt, die Dreiheit der göttlichen Per-
sonen vor Augen, und deshalb redet er konkret — solange das mög-
lich ist. Bei der dritten Person kann er nämlich den abstrakten
Terminus vereynigung nicht umgehen. Aus der Auslegung ergibt
sich aber, daß er mit ihm eine konkrete Vorstellung verband, und
wir haben durch die Wahl des Wortes 'Gemeinschaft’ versucht, ihr
in der Übersetzung in etwa gerecht zu werden.
Dieser Ternär eyns — glich ■■— vereynigung dient nun wesent-
lich zur Abgrenzung der Sphäre des Absoluten, Göttlichen, von der
des Kontrakten, Geschöpflichen. Für diese gilt nämlich ein ganz
anderer Ternär: vijl — vngelich —- gejundert vnd gedeilt (multitudo
-— inaequalitas — divisio). Am Anfang aller Dinge steht aber der
eine Vater als ihr Ursprung. Cusanus macht das an den Zahlen
klar. Sie entstehen alle aus der Einheit, indem diese vielmals
gesetzt wird. Die Einheit selbst ist aber keine Zahl, wenn sie auch
den Zahlen ihr Zahlsein verleiht2. So sind alle creaturen von eyme
1 Zu dieser Terminologie vgl. DI I c. 2, S. 7, 16ff.; II c. 4, S. 73, lff.
2 Nachträglich wurde ich noch auf eine Stelle in „De Beryllo“ auf-
merksam, die zu n. 7, S. 30, 6ff. einen guten Kommentar bietet: „Videtur
autem ipsi Deo magis convenire ipsum 'unum’ quam aliud nomen. Ita vocat