Zur ethnischen Deutung frühgeschichtlicher Kulturprovinzen
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dann wird der Hallstatt-Kreis innerhalb des in Rede stehenden
Raumes von Kelten getragen. In Anbetracht der Unmöglichkeit,
den La-Tene-Stil irgendwie von außen her abzuleiten, wurde in vor-
stehendem bereits mit der stillen Voraussetzung gearbeitet, daß
ein Wechsel der Bevölkerung nicht stattgefunden habe. Irgend-
welche Umstände, die ihr widersprechen, ergaben sich nicht, und
damit hat sich der Grad ihrer Wahrscheinlichkeit erhöht. Archä-
zugrunde liegenden Vorstellung von einem tiefgreifenden Vorgang geistiger
Art, den damals das Keltenvolk erlebt hat. Und ich kann in seinem
Deutungsversuch um so eher eine Bestätigung meiner Ansicht erblicken, als
Kahrstedt meine Ausführungen von 1932 offenbar nicht kennt.
Kahrstedt sucht die Wurzeln sowohl des La-Tene-Stiles wie der Kelten-
wanderungen. „Das Bedenkliche ist das Fehlen eines Territoriums, von dem
die Wanderung ausgegangen sein kann. Das Areal der Marnekultur ist zu
klein, um Süddeutschland, Oberitalien und die Donauländer mit Siedlern zu
füllen, es ist auch nicht zweifelsfrei so viel älter als das süddeutsche B, daß
man davon reden könnte, die Kultur habe sich an der Marne entwickelt und
sei dann an den Rhein gekommen“ (403). Und der geistige Vorgang,
den die Kelten in ihrer süddeutsch-ostfranzösischen Heimat erleben, wirkt
sich dann auch nach außen hin aus. „Ein Volk, das einen inneren Befreiungs-
prozeß erlebt und sich eine neue zeitgemäße Lebensform erringt, hat in aller
Geschichte die Neigung zur Expansion. Die Kelten haben sich da offenbar
nicht anders verhalten als die Sansculotten und die Puritaner. Es wäre kein
Zufall, daß nach der Bauernbefreiung die keltische Eroberungswelle nach
Süden und Osten beginnt und das verjüngte Volk seine großen Züge antritt“
(405).
Wichtiger aber noch als in bezug auf diesen einen Deutungsversuch
erscheint mir die Arbeit in methodischer Hinsicht. „Bis in die jüngste Zeit
war die beliebteste Erklärung für die Unterschiede, die der Bestand einer
Landschaft in den sich ablösenden Perioden bot, die Annahme eines Bevöl-
kerungswechsels, ähnlich wie die junge antike Geschichtsschreibung die Unter-
schiede zwischen ihrer Gegenwart und etwa der Zeit des Epos gerne mit Wan-
derungen erklärte: Die Dorier, Leleger, Pelasger wanderten so emsig wie die
Glockenbecherleute und die La-Tene-B-Bauern. Dem Historiker war dabei
stets etwas unbehaglich: in genauer bekannten Zeiten kommen auch Völker-
wanderungen vor, aber doch als Ausnahme, unendlich viel häufiger wandelt
sich das Gesicht eines Volkes durch soziale Verlagerungen und Revolutionen.
Es befriedigte nicht, daß die Dinge, die in historischer Zeit normal sind,
vorher nie vorgekommen sein sollten, daß dafür das, was später die Aus-
nahme war, vor dem Einsetzen der schriftlichen Überlieferung fast als Regel
angesehen werden mußte“ (401).
Wieder einmal weist hier der an den Schriftquellen geschulte Historiker
dem Archäologen ein geschichtliches Problem! Die Schriftquellen führen doch
eben ganz anders zu dem Menschen der Vergangenheit hin, als wie die Funde
es vermögen, die nur zu leicht in Richtung der Typologie ablenken. Vgl. auch
Jahresberichte für deutsche Geschichte 13, 1937, 216 (E. Wahle).
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dann wird der Hallstatt-Kreis innerhalb des in Rede stehenden
Raumes von Kelten getragen. In Anbetracht der Unmöglichkeit,
den La-Tene-Stil irgendwie von außen her abzuleiten, wurde in vor-
stehendem bereits mit der stillen Voraussetzung gearbeitet, daß
ein Wechsel der Bevölkerung nicht stattgefunden habe. Irgend-
welche Umstände, die ihr widersprechen, ergaben sich nicht, und
damit hat sich der Grad ihrer Wahrscheinlichkeit erhöht. Archä-
zugrunde liegenden Vorstellung von einem tiefgreifenden Vorgang geistiger
Art, den damals das Keltenvolk erlebt hat. Und ich kann in seinem
Deutungsversuch um so eher eine Bestätigung meiner Ansicht erblicken, als
Kahrstedt meine Ausführungen von 1932 offenbar nicht kennt.
Kahrstedt sucht die Wurzeln sowohl des La-Tene-Stiles wie der Kelten-
wanderungen. „Das Bedenkliche ist das Fehlen eines Territoriums, von dem
die Wanderung ausgegangen sein kann. Das Areal der Marnekultur ist zu
klein, um Süddeutschland, Oberitalien und die Donauländer mit Siedlern zu
füllen, es ist auch nicht zweifelsfrei so viel älter als das süddeutsche B, daß
man davon reden könnte, die Kultur habe sich an der Marne entwickelt und
sei dann an den Rhein gekommen“ (403). Und der geistige Vorgang,
den die Kelten in ihrer süddeutsch-ostfranzösischen Heimat erleben, wirkt
sich dann auch nach außen hin aus. „Ein Volk, das einen inneren Befreiungs-
prozeß erlebt und sich eine neue zeitgemäße Lebensform erringt, hat in aller
Geschichte die Neigung zur Expansion. Die Kelten haben sich da offenbar
nicht anders verhalten als die Sansculotten und die Puritaner. Es wäre kein
Zufall, daß nach der Bauernbefreiung die keltische Eroberungswelle nach
Süden und Osten beginnt und das verjüngte Volk seine großen Züge antritt“
(405).
Wichtiger aber noch als in bezug auf diesen einen Deutungsversuch
erscheint mir die Arbeit in methodischer Hinsicht. „Bis in die jüngste Zeit
war die beliebteste Erklärung für die Unterschiede, die der Bestand einer
Landschaft in den sich ablösenden Perioden bot, die Annahme eines Bevöl-
kerungswechsels, ähnlich wie die junge antike Geschichtsschreibung die Unter-
schiede zwischen ihrer Gegenwart und etwa der Zeit des Epos gerne mit Wan-
derungen erklärte: Die Dorier, Leleger, Pelasger wanderten so emsig wie die
Glockenbecherleute und die La-Tene-B-Bauern. Dem Historiker war dabei
stets etwas unbehaglich: in genauer bekannten Zeiten kommen auch Völker-
wanderungen vor, aber doch als Ausnahme, unendlich viel häufiger wandelt
sich das Gesicht eines Volkes durch soziale Verlagerungen und Revolutionen.
Es befriedigte nicht, daß die Dinge, die in historischer Zeit normal sind,
vorher nie vorgekommen sein sollten, daß dafür das, was später die Aus-
nahme war, vor dem Einsetzen der schriftlichen Überlieferung fast als Regel
angesehen werden mußte“ (401).
Wieder einmal weist hier der an den Schriftquellen geschulte Historiker
dem Archäologen ein geschichtliches Problem! Die Schriftquellen führen doch
eben ganz anders zu dem Menschen der Vergangenheit hin, als wie die Funde
es vermögen, die nur zu leicht in Richtung der Typologie ablenken. Vgl. auch
Jahresberichte für deutsche Geschichte 13, 1937, 216 (E. Wahle).