52
E. Wahle:
größeren Tiefe der frühgeschichtlichen Zeit nur sehr langsam Raum
gewinnt, dann versteht man nur zu gut, daß sich jene Generationen
an dieses ethnische Problem herangewagt haben, welches ihnen mit
den Mitteln ihrer Zeit sehr wohl lösbar erschien.
In der Zuweisung niederschlesischen Fundstoffes an die Ger-
manen ist zu Beginn des 19. Jahrhunderts Fr. Kruse sehr vor-
sichtig; denn es muß ja auch an die slawischen Bewohner des
Landes gedacht werden1. Und nicht minder hält sein Zeitgenosse
Fr. A. Wagner mit dem Urteil über das von ihm an der Schwarzen
Elster gesammelte Material zurück2. Wie die Frage germanisch
oder slawisch hier im Osten die Gemüter bewegt, hat uns Th. Fon-
tane anschaulich in seinem im Winter 1812/13 spielenden Roman
,,Vor dem Sturm“ geschildert; in den Diskussionen des eifrig sam-
melnden Pastors Seidentopf mit seinem wissenschaftlichen Gegner
erlebt es der Leser, wie der Stoff mit diesen und jenen Gründen
auf die beiden Nationalitäten verteilt wird.
Erst der bereits genannte Virchow trennt hier Slawisches
und Vorslawisches voneinander, und er ist so vorsichtig, das letz-
tere nun nicht gleich den Germanen zuzuschreiben3. Auch der
1 Fr. Kruse, Etwas über das alte Schlesien vor Einführung der Christ-
lichen Religion, besonders zu den Zeiten der Römer, nach gefundenen Alter-
thümern und den Angaben der Alten. Wöchentliche Nachrichten, hrsg. von
J. G. Böschung, IV, Breslau 1819, 227—398. Hier 263f.: „Die Frage, ob
gerade alles, was in diesen Urnen gefunden wird, so wie alle Urnen selbst
alt-germanisch sind, wage ich noch nicht zu beantworten. Aber das halte ich
für gewiß, daß diejenigen Gräber, welche Römische Münzen und andere
eherne Geräthe mit verbrannten Knochen enthalten, so wie diejenigen, die
den vorigen gleich sind und in derselben Form auch in andern Gegenden
Deutschlands Vorkommen, wohin die Slaven nicht vordrangen, für echt Ger-
manische Alterthiimer zu halten sind.“
2 Fr. A. Wagner, Aegypten in Deutschland oder die germanisch-slavi-
schen, wo nicht rein germanischen Alterthiimer an der schwarzen Elster.
Leipzig, 1833.
3 Zeitschrift für Ethnologie 12, 1880, 227 f. „Ein großer, vielleicht der
größte Teil der Wälle ist slavisch, und sicher die Mehrzahl aller Gräberfelder
ist germanisch oder vorgermanisch“. Nach den Zeugnissen der Geschichts-
schreiber haben wir dort „bis zur Völkerwanderung die germanische, nach
der Völkerwanderung die slavische Periode. Aber wir haben kein historisches
Zeugnis mehr für die Zeit des Beginnes der germanischen Einwanderung oder
für die Annahme einer bestimmten, noch älteren Besiedelung.“ -— Die Gräber-
felder des Lausitzer Typus werden heute den Nord-Illyriern zugeschrieben,
wie denn jetzt nach Norden bis zum Hinterpommerschen Landrücken hin
illyrische topographische Namen nachgewiesen sind. Die sich zwischen Illyrier
und Slawen einschiebende germanische Zeit ist in Virchows a. a.O. behandel-
E. Wahle:
größeren Tiefe der frühgeschichtlichen Zeit nur sehr langsam Raum
gewinnt, dann versteht man nur zu gut, daß sich jene Generationen
an dieses ethnische Problem herangewagt haben, welches ihnen mit
den Mitteln ihrer Zeit sehr wohl lösbar erschien.
In der Zuweisung niederschlesischen Fundstoffes an die Ger-
manen ist zu Beginn des 19. Jahrhunderts Fr. Kruse sehr vor-
sichtig; denn es muß ja auch an die slawischen Bewohner des
Landes gedacht werden1. Und nicht minder hält sein Zeitgenosse
Fr. A. Wagner mit dem Urteil über das von ihm an der Schwarzen
Elster gesammelte Material zurück2. Wie die Frage germanisch
oder slawisch hier im Osten die Gemüter bewegt, hat uns Th. Fon-
tane anschaulich in seinem im Winter 1812/13 spielenden Roman
,,Vor dem Sturm“ geschildert; in den Diskussionen des eifrig sam-
melnden Pastors Seidentopf mit seinem wissenschaftlichen Gegner
erlebt es der Leser, wie der Stoff mit diesen und jenen Gründen
auf die beiden Nationalitäten verteilt wird.
Erst der bereits genannte Virchow trennt hier Slawisches
und Vorslawisches voneinander, und er ist so vorsichtig, das letz-
tere nun nicht gleich den Germanen zuzuschreiben3. Auch der
1 Fr. Kruse, Etwas über das alte Schlesien vor Einführung der Christ-
lichen Religion, besonders zu den Zeiten der Römer, nach gefundenen Alter-
thümern und den Angaben der Alten. Wöchentliche Nachrichten, hrsg. von
J. G. Böschung, IV, Breslau 1819, 227—398. Hier 263f.: „Die Frage, ob
gerade alles, was in diesen Urnen gefunden wird, so wie alle Urnen selbst
alt-germanisch sind, wage ich noch nicht zu beantworten. Aber das halte ich
für gewiß, daß diejenigen Gräber, welche Römische Münzen und andere
eherne Geräthe mit verbrannten Knochen enthalten, so wie diejenigen, die
den vorigen gleich sind und in derselben Form auch in andern Gegenden
Deutschlands Vorkommen, wohin die Slaven nicht vordrangen, für echt Ger-
manische Alterthiimer zu halten sind.“
2 Fr. A. Wagner, Aegypten in Deutschland oder die germanisch-slavi-
schen, wo nicht rein germanischen Alterthiimer an der schwarzen Elster.
Leipzig, 1833.
3 Zeitschrift für Ethnologie 12, 1880, 227 f. „Ein großer, vielleicht der
größte Teil der Wälle ist slavisch, und sicher die Mehrzahl aller Gräberfelder
ist germanisch oder vorgermanisch“. Nach den Zeugnissen der Geschichts-
schreiber haben wir dort „bis zur Völkerwanderung die germanische, nach
der Völkerwanderung die slavische Periode. Aber wir haben kein historisches
Zeugnis mehr für die Zeit des Beginnes der germanischen Einwanderung oder
für die Annahme einer bestimmten, noch älteren Besiedelung.“ -— Die Gräber-
felder des Lausitzer Typus werden heute den Nord-Illyriern zugeschrieben,
wie denn jetzt nach Norden bis zum Hinterpommerschen Landrücken hin
illyrische topographische Namen nachgewiesen sind. Die sich zwischen Illyrier
und Slawen einschiebende germanische Zeit ist in Virchows a. a.O. behandel-