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Wahle, Ernst; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1940/41, 2. Abhandlung): Zur ethnischen Deutung frühgeschichtlicher Kulturprovinzen: Grenzen der frühgeschichtlichen Erkenntnis. 1 — Heidelberg, 1941

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https://doi.org/10.11588/diglit.42021#0094
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E. Wahle:

hier ein uns allzu selbstverständlich dünkendes Gerät auf einen
wirklich genial zu nennenden Kopf zurückgeht, ist das mit noch
vielem anderen der Fall, das den Grundstock der Dinge unseres
täglichen Bedarfes ausmacht. Diese letzteren Errungenschaften
gehören aber in die jüngere Steinzeit, oder sie liegen gar noch
weiter zurück, und so gilt es, auch hier überall das schöpferische
Individuum in Rechnung zu setzen.
Ebenso wie in diesen Beispielen muß auch auf dem Gebiete
des geistigen Lebens der Frühzeit auf den Nachweis der hervor-
ragenden Führergestalt verzichtet werden. Es genügt der ganz
allgemein gehaltene Hinweis auf die Bedeutung des Priesterstandes,
welcher das überkommene Geistesgut nicht nur hütet, sondern in
seinem Kreise weiterentwickelt, welcher der Vorstellung von den
übermenschlichen Gewalten eine feste Form gibt und diese ver-
möge seines Ansehens zum Bekenntnis der Allgemeinheit macht.
Ein Ulfila dürfte also schon im Paläolithikum seine Vorgänger
gehabt haben, und ein Mann wie der ,,Stern-Oddi, germanischer
Bauer und Astronom“ auf Island, der durch die frühen Schrift-
quellen bekannt wird1, steht natürlich auch nicht ohne geistige
Ahnen da. Ein Fall, der uns zur unmittelbaren Einschaltung einer
schöpferischen Kraft zwingt, liegt in der Erschaffung des Runen-
alphabetes vor. So nahe verwandt auch das ältere Futhark den
nordetruskischen Alphabeten ist, wo es nach der heute geltenden
Auffassung sein Vorbild hat, so bleibt es diesem gegenüber doch
eine selbständige Erscheinung. Demgemäß aber sollte unsere
Runenkunde stärker, als es bisher geschehen ist2, das Persönliche
1 Germanen-Erbe 3, 1938, 162—168 (O. S. Reuter).
2 Nur selten begegnen in dem einschlägigen Schrifttum entsprechende
Hinweise; so z. B. bei K. Reichardt, Runenkunde, 1936, 12f. u. 121 f. (was
K. Meissner in seiner Besprechung — Deutsche Literaturzeitung 1937, 1824
— besonders anerkennt), und ferner bei F. Altheim u. E. Trautmann, Grund-
sätzliches zur Runen- und Felsbildforschung, Germanien 11, 1939, 449—456.
Die Polemik an der letzteren Stelle wendet sich gegen einen Aufsatz von
Norden; „allmählich,“ so meine dieser, „soll mit dem Handel auch die
Schrift den Germanen zugekommen sein.“ Norden, so sagen sie (S. 450),
„ist für die allmähliche, unmerklich sich vollziehende Entwicklung. Sie ver-
wirklicht für ihn über Vorstufen und Übergänge hinweg das Ideal einer lücken-
losen Kontinuität, die von einfachen Anfängen zur vollendeten Gestaltung
hinführt. Und doch spricht Norden, durchaus mit Recht, von einem ‘epoche-
machenden Ereignis’. Nimmt man das ernst, so ist damit gesagt, daß die
Schöpfung des Futhark einen Einsatz bedeutet, der gegenüber allem Voran-
gehenden etwas Neues hinstellt. Sie ist eine Schöpfung im strengen und
 
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