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Wahle, Ernst; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1940/41, 2. Abhandlung): Zur ethnischen Deutung frühgeschichtlicher Kulturprovinzen: Grenzen der frühgeschichtlichen Erkenntnis. 1 — Heidelberg, 1941

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https://doi.org/10.11588/diglit.42021#0095
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Zur ethnischen Deutung i'rühgeschichtlicher Kulturprovinzen

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dieser Leistung heraussteilen, die wohl, der Geheimnatur der
Runen entsprechend, im Kreise der Priester lokalisiert werden muß.
Und es bedarf hier auch gar nicht erst des Hinweises auf den-
jenigen westafrikanischen Negerhäuptling, der, angeregt durch
europäische Einflüsse und durch Beziehungen zu arabisierten
Nachbarstämmen, um das Jahr 1840 aus eigenem Antrieb heraus
eine neue Schrift entworfen und in seinem Stamme einzuführen
versucht hat* 1. Dagegen sei abschließend noch darauf aufmerksam
gemacht, daß die soziologische Linguistik zur Erklärung von
Sprachneuerungen und mundartlichen Besonderheiten sich gerne
des autoritativen Individuums bedient2.
Freilich haben wir hier nirgendwo die schöpferische Gestalt
genauer greifbar, und auch da, wo wir ihre Leistung scharf um-
reißen, sowie in Raum und Zeit festlegen können, wird uns der
Einblick in ihr besonderes Schicksal versagt. Ist uns aber die
Erkenntnis des Menschlichen nicht zugänglich, so sehen wir umso
deutlicher das Bleibende, d. h. diejenige Leistung, in deren Auf-
nahme durch die Nachwelt die ehemals gezollte Anerkennung ihren
Ausdruck findet.
,,Es muß im Menschen von Anfang an etwas Ursprüngliches,
Eigenmächtiges, Suchendes gewirkt haben, das sich verwegen von
eigentlichen Sinn, eine bewußte und verantwortliche Tat, und das führt weit
weg von jener allmählichen, in unerkennbarem und unbewußtem Dunkel ab-
rollenden ‘Entwicklung’. Solch entscheidende Tat mußte auch in einem ent-
scheidenden Zeitpunkt vollzogen werden. Zur fruchtbaren Schöpfung gehört
der fruchtbare Augenblick. Diese kimbrische Wanderung, die die Germanen
zum ersten Male nach Süden blicken ließ, die sie in neue Bewegung brachte
und aufwühlte, schuf die Bereitschaft auch zur geistigen Tat. So wurde der
Übergang von der Sinnbildschrift zur Lautschrift erstmalig gewagt und damit
etwas getan, das für die Zukunft von unabsehbaren Folgen war.“ —
(Es scheint mir richtig, diese Stellungnahme hier ausführlich wiederzu-
geben, und zwar nicht nur deshalb, weil sie so beredt von der den Prähistori-
kern innewohnenden Neigung absticht, überall und in erster Linie nach Typen-
reihen zu suchen.)
1 F. Wiegers, Herman Wirth und die deutsche Wissenschaft, 1932, 39ff.
(H. Plischke). Ein weiteres Beispiel aus Kamerun, dem 20. Jahrhundert
angehörig, ebenda 42 f.
2 G. Neckel, Germanen und Kelten, 1929, 52; Volk und Rasse 5, 1930,
115f., Fr. Lüers gelegentlich der Anzeige von Neckels genanntem Buch:
,,Bei allen soziologischen Veränderungen hat man in einer ungerechtfertigten
Großzügigkeit das ‘autoritative Individuum’ zu wenig beachtet. Man ist
heute gerade durch die neuzeitliche Mundartforschung davon überzeugt, welch
tiefgreifende Veränderungen u. U. von einem Einzelwesen ausgehen können.“
 
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