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Wahle, Ernst; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1940/41, 2. Abhandlung): Zur ethnischen Deutung frühgeschichtlicher Kulturprovinzen: Grenzen der frühgeschichtlichen Erkenntnis. 1 — Heidelberg, 1941

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https://doi.org/10.11588/diglit.42021#0143
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Zur ethnischen Deutung frühgeschichtlicher Kulturprovinzen

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und sich dieser insbesondere mehr nur auf die Erkenntnis von
Nebensächlichem beschränkt. Die Frage z. B. nach den gesell-
schaftlichen und wirtschaftlichen Zuständen dieser Zeit tritt ganz
zurück gegenüber dem Studium einzelner, aus dem überreichen
Stoff herausgegriffener Fundstücke von besonderer Art, welche der
„archäologischen“ Würdigung für wert erachtet werden. Die Staffel-
datierung ist demnach nicht einmal innerhalb der ihr gezogenen
Grenzen zu nennenswerter Anwendung gekommen; auch hier also
kann man sich dem Eindruck nicht verschließen, daß mit der
rationalen Betrachtung des Fundstoffes das Interesse an dem ge-
staltenden Menschen sofort nachläßt.
Dieses unhistorische Denken tritt somit auch außerhalb der
Prähistorie und ebenfalls dort in Erscheinung, wo ein gegenständ-
licher Stoff als Quelle dient. Muß nach dem Gesagten seine Über-
windung erstrebt werden, so soll dies nun aber nicht zugleich die
Abkehr von dem naturgesetzlichen Denken überhaupt bedeuten.
Die Betonung gerade der Lebenskraft bringt es im Gegenteil mit
sich, daß die biologische Fragestellung erneut vor dem Fundstoff
aufgeworfen wird. Damit bleiben diejenigen Beziehungen erhalten,
welche von der Abstammungslehre her zur frühgeschichtlichen For-
schung führen; doch kann nicht nachdrücklich genug betont wer-
den, daß diese erstere heute ein ganz anderes Antlitz hat als zur
Zeit Darwins, in der sie bei der Entstehung der typologischen Me-
thode weitgehend beteiligt war. Zwar hat Darwin gezeigt, daß
„jedes Individuum mit seiner Eigengestaltung auf die Bewährung
im Kampf ums Dasein gestellt ist“, doch blieb es erst einer spä-
teren Zeit Vorbehalten, aus dieser Erkenntnis die Folgerungen zu
ziehen1. Die Paläontologie hat sich, sehr ähnlich der Entwicklung
der Prähistorie, recht lange von der Vorstellung einer ganz allmäh-
lichen Veränderung der Formen leiten lassen, und war außerdem
mehr der Erfassung allgemeiner mechanistischer Prinzipien als wie
der Erkenntnis des wirklichen historischen Ablaufes zugewandt2.
Das Studium des letzteren lehrte sie dann aber späterhin zwischen
Revolutionen und Evolutionen unterscheiden, den Zeitabschnitten
explosiver Entfaltung einerseits und des Ausdifferenzierens ander-
seits. In dem Nacheinander von Neomorphose und Orthogenese
konnte sie das plötzliche Auftreten eines neuen Gestaltungsplanes
1 K. Beurlen, Die stammesgeschichtlichen Grundlagen der Abstam-
mungslehre, 1937, 11 f.
2 Ebenda 14.
 
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