Zur Chronologie der Eklogen Vergils
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zu umzukehren: Epode 16 verwendet die frühen Eklogen anders als
ecl. 8. Warum sollte das nicht gerade vor dieser Ekloge geschehen sein?
2. Die horazische Priorität widerlege sich dadurch7, daß man sonst
denken müsse, er habe zu Lukrez eben das hinzugefügt, was Vergil
für die Liebesklage brauchte, dazu das «übersteigert», was Vergil bei
Theokrit finden konnte. Das ist so nicht ganz richtig. Horaz hat zu
Lukrez u. a. auch ecl. 4,22 - das Motiv des Tierfriedens (bei Horaz
nicht von Theokrit) - und ecl. 1,59 hinzugefügt. Der Rest paßte in der
Tat vorzüglich für Vergils Absichten. Warum sollte er nicht an ihn an-
schließen, zumal er auch bei Horaz von striktester Angemessenheit
war? Jede Hoffnung auf Rückkehr sollte abgeschnitten werden. Da der
Wunsch umzukehren, <nova libido> und <mirus amor> wäre, soll sol-
cher Hoffnung als so unmöglich abgeschworen werden, wie die Ady-
nata es veranschaulichen. Ein Bruch des Schwures käme einer Pervertie-
rung der eigenen stolzen Natur («iuvet ut tigris subsidere cervis») oder
einer Verletzung der Treue als der prägenden Wesensart durch Ehe-
bruch gleich («adulteretur et columba miluo»). Den Liebenden in ecl.
8 dagegen erscheinen gerade solche monströsen und mirakulösen Ver-
bindungen als für ihr Hoffen möglich.
Beckers Interpretation von ecl. 8,26 ff. erscheint nämlich, abgesehen
von ihrer Widersprüchlichkeit, nicht recht überzeugend. Er sagt zu-
nächst, der Sinn sei: wenn Mopsus und Nysa sich vermählen, muß
man auf die absurdesten Verbindungen gefaßt sein; dann, den Anklang
von ecl. 8,26 an 2,2 beachtend: beide Male sei das Thema Vergeblich-
keit der Liebe. Aber ecl. 2,2 wird doch gerade über Horaz verwandelt.
Corydon hatte keine Hoffnung, Mopsus aber einen solchen Liebeser-
folg, daß nun Liebende (ecl. 8: «wir Liebenden», nicht «man») vorher
unmöglich erscheinende Verbindungen erhoffen (ecl. 8: «hoffen», nicht
»gefaßt sein auf») können. Nicht die Vergeblichkeit der Liebe ist hier
Thema, sondern die wider alle Erwartung und Wahrscheinlichkeit
möglich gewordene Erfüllung einer Liebe. Nicht aus der Hoffnungs-
losigkeit der eigenen Liebe entwickelt der Sänger seine allgemeine
Einsicht, sondern aus der unverhofften Erfüllung der Liebe des ande-
ren. Der Schluß auf die dadurch möglich gewordenen Hoffnungen aller
Liebenden ist natürlich bitter. Die Verwandlung von ecl. 2,2 hat das
Modell der 16. Epode zu bewirken geholfen.
' Auch nach Snell, Hermes 73 (1938), S. 237-239 ist «daran doch nicht zu zwei-
feln», daß Horaz von ecl. 8,26 ff. abhängt, «einer älteren Ekloge Vergils.»
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zu umzukehren: Epode 16 verwendet die frühen Eklogen anders als
ecl. 8. Warum sollte das nicht gerade vor dieser Ekloge geschehen sein?
2. Die horazische Priorität widerlege sich dadurch7, daß man sonst
denken müsse, er habe zu Lukrez eben das hinzugefügt, was Vergil
für die Liebesklage brauchte, dazu das «übersteigert», was Vergil bei
Theokrit finden konnte. Das ist so nicht ganz richtig. Horaz hat zu
Lukrez u. a. auch ecl. 4,22 - das Motiv des Tierfriedens (bei Horaz
nicht von Theokrit) - und ecl. 1,59 hinzugefügt. Der Rest paßte in der
Tat vorzüglich für Vergils Absichten. Warum sollte er nicht an ihn an-
schließen, zumal er auch bei Horaz von striktester Angemessenheit
war? Jede Hoffnung auf Rückkehr sollte abgeschnitten werden. Da der
Wunsch umzukehren, <nova libido> und <mirus amor> wäre, soll sol-
cher Hoffnung als so unmöglich abgeschworen werden, wie die Ady-
nata es veranschaulichen. Ein Bruch des Schwures käme einer Pervertie-
rung der eigenen stolzen Natur («iuvet ut tigris subsidere cervis») oder
einer Verletzung der Treue als der prägenden Wesensart durch Ehe-
bruch gleich («adulteretur et columba miluo»). Den Liebenden in ecl.
8 dagegen erscheinen gerade solche monströsen und mirakulösen Ver-
bindungen als für ihr Hoffen möglich.
Beckers Interpretation von ecl. 8,26 ff. erscheint nämlich, abgesehen
von ihrer Widersprüchlichkeit, nicht recht überzeugend. Er sagt zu-
nächst, der Sinn sei: wenn Mopsus und Nysa sich vermählen, muß
man auf die absurdesten Verbindungen gefaßt sein; dann, den Anklang
von ecl. 8,26 an 2,2 beachtend: beide Male sei das Thema Vergeblich-
keit der Liebe. Aber ecl. 2,2 wird doch gerade über Horaz verwandelt.
Corydon hatte keine Hoffnung, Mopsus aber einen solchen Liebeser-
folg, daß nun Liebende (ecl. 8: «wir Liebenden», nicht «man») vorher
unmöglich erscheinende Verbindungen erhoffen (ecl. 8: «hoffen», nicht
»gefaßt sein auf») können. Nicht die Vergeblichkeit der Liebe ist hier
Thema, sondern die wider alle Erwartung und Wahrscheinlichkeit
möglich gewordene Erfüllung einer Liebe. Nicht aus der Hoffnungs-
losigkeit der eigenen Liebe entwickelt der Sänger seine allgemeine
Einsicht, sondern aus der unverhofften Erfüllung der Liebe des ande-
ren. Der Schluß auf die dadurch möglich gewordenen Hoffnungen aller
Liebenden ist natürlich bitter. Die Verwandlung von ecl. 2,2 hat das
Modell der 16. Epode zu bewirken geholfen.
' Auch nach Snell, Hermes 73 (1938), S. 237-239 ist «daran doch nicht zu zwei-
feln», daß Horaz von ecl. 8,26 ff. abhängt, «einer älteren Ekloge Vergils.»