Metadaten

Schmidt, Ernst A.; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1985, 3. Abhandlung): Zeit und Geschichte bei Augustin: vorgetragen am 14. Juli 1984 — Heidelberg: Winter, 1985

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.47817#0038
License: Free access  - all rights reserved
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
36

Ernst A. Schmidt

Die Erinnerungsbilder stimmen, als Spuren sinnlicher Eindrücke,
d. h. vorüberziehender Ereignisse, mit ihnen überein; sie sind wahr
(conf. 11,17, 22-18, 23), und sie bleiben wahr. Die Voraussetzung der
Präsenz von Zukünftigem im Geist ist für Augustin ebenfalls ihre
Wahrheit, d. h. die Übereinstimmung der auf der Imagination beru-
henden Voraussage und der Prämeditation mit dem zukünftigen Er-
eignis bzw. der zukünftigen Handlung. Das bedeutet, daß das zukünf-
tige Ereignis oder die zukünftige Handlung genau bekannt und auch
ganz sicher sind, so daß sie, wenn sie gegenwärtig geworden sind, nun
so in die Imagination oder die Prämeditation, die inzwischen Erinne-
rungsbilder geworden sind, eingepaßt werden, wie das vergangene
Ereignis beim Erinnern der Paßform seines Spurabdrucks abgenom-
men wird.
Zukunft ist für Augustin im elften Buch der Bekenntnisse Erwar-
tung, nicht Hoffnung, aber selbst Erwartung nur in dem eingeschränk-
ten Sinn der sicheren Erwartung, der wahren Voraussage, die entweder
auf der Erfahrung der Folge von Ursache (oder Zeichen) zu Verursach-
tem (oder Bezeichnetem), d. h. der Vergangenheitserfahrung regel-
mäßiger Früher-und-Später-Folgen, beruht oder Prophetie als Lehre
Gottes ist (conf. 11, 19, 25).
(Zu 2) Zeitmessung geschieht in der Erinnerung (conf. 11,27, 35f)-
Im Blick auf Zukünftiges gebraucht Augustin das Wort „metiri“ kein-
mal, obwohl er es der Sache nach voraussetzt und auch der Ausspan-
nung der Seele auf Zukünftiges und der Vorstellung langer zukünftiger
Zeit bzw. der Unterscheidung langer und kurzer zukünftiger Zeit
zugrundelegt. Hier gab allerdings auch die Tradition im Unterschied
zur „memoria“ kein Gedanken- und Vorstellungsgut an die Hand. Das
anschauliche und_metaphorische Denken Augustins konnte zwar die
Paläste, Höhlen und Schlupfwinkel der „memoria“ in besonderer
Leuchtkraft und mit der Intensität geradezu kindlicher Phantasie oder
mythopoietischer Kraft57 vor unsere Augen stellen; hier war ihm die

ten Folge von Gegenwart und Vergangenheit (die Zukunft fällt ohnehin fort), ergibt
sich aus dem Nacheinander ursprünglicher Gegenwarten ebenso wie aus der
Ergänzung persönlicher Erinnerung durch Geschichte im weitesten Sinn, die ohne
ursprüngliche Gegenwart (was die Ereignisse betrifft) erfahren wird.
■7 Vgl. Hubert Cancik, Der Eingang in die Unterwelt. Ein religionswissenschaftlicher
Versuch zu Vergil, Aeneis 6,236-272. Der altsprachl. Unterricht 23.2 (1980), S. 55-
69; hier: S. 66. - In Augustins Belebung der traditionellen Raummetaphorik für die
„memoria“ (vgl. oben Anm. 32) scheint mir allerdings neben dem Unterweltsbuch
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften