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Schmidt, Ernst A.; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1985, 3. Abhandlung): Zeit und Geschichte bei Augustin: vorgetragen am 14. Juli 1984 — Heidelberg: Winter, 1985

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https://doi.org/10.11588/diglit.47817#0043
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Zeit und Geschichte bei Augustin

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hier weder Offenheit noch das schlechthin Andere. Ja, im zehnten
Buch ist die Zukunftshaltung geradezu ein Erinnerungsakt bzw. geht
allein von Erinnerung aus: „[...] similitudines rerum [... ] et ipse con-
texo praeteritis atque ex his etiam futuras actiones et eventa et spes, et
haec omnia rursus quasi praesentia meditor“ (conf. 10, 8, 14).
Die „expectatio“ des elften Buches ist eine Form des Wissens und
der Erkenntnis.

4. Kapitel
Ewigkeit die Aufhebung der Zeit, nicht ihr Richtungssinn
(Zukunft)
Ist die Zeitlehre der Confessiones, wenn sie auch ihren Nerv in der
Erinnerung und der Präsenz hat, doch wenigstens offen für eine zeit-
liche Ausrichtung des Menschen auf die Ewigkeit hin, verstanden als
latente und potentielle Hinkünftigkeit auf das ewige Sein? Ist der
geheime Sinn von Zeit ihr Lauf auf ihre Aufhebung zu?
Dazu interpretiere ich zwei Sätze, die mißverstanden werden kön-
nen und in der Tat auch mißverstanden worden sind, und stelle sie in
den Kontext der Bekenntnisse. Am Anfang gleich des Werkes steht
das berühmte Wort: „quia fecisti nos ad te et inquietum est cor
nostrum, donec requiescat in te“ (conf. 1,1,1). Georg Misch hat in sei-
ner Gechichte der Autobiographie darin Jene innere Unruhe des Gott
suchenden Menschen“ gesehen, die die „Lebensgeschichte des Indivi-
duums“ Zusammenhalte, „ihr Einheit und Richtung gebend“67. Und
Erich Lampey, einer der eingangs zitierten Autoren, betrachtet die
„Unruhe des menschlichen Herzens“ „als (ihr) Offensein für Gott“68.
Dabei wird die Unruhe positiv und final aufgefaßt, als ob sie der Weg
zur Ruhe in Gott sei. Es ist evident, daß der Satz dann ein exaktes
Strukturmodell für Zeitlichkeit als Weg zur Nichtzeitlichkeit und eine
Formel für die Dialektik der plotinischen Zeit ist: Ruhe der Sinn von
Unruhe. Diese plotinische Struktur zieht O’Connell (nachdem er

67 Georg Misch, Geschichte der Autobiographie, Bd. I, 2. Hälfte, Frankfurt a.M.,
19503, S. 654.
68 Lampey, Zeitproblem nach conf., S. 9. Vgl. auch Lechner, Idee und Zeit bei A., S.
140; Flasch, Augustin, S. 264: „Endzweck aller Unruhe“; S. 258: „Seine Unruhe ist
göttlichen Ursprungs“.
 
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