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Schmidt, Ernst A.; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1985, 3. Abhandlung): Zeit und Geschichte bei Augustin: vorgetragen am 14. Juli 1984 — Heidelberg: Winter, 1985

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https://doi.org/10.11588/diglit.47817#0076
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Ernst A. Schmidt

Augustin als Entdecker von Zielgeschichte und gerichteter Zeit ver-
standen, in welcher intentionalen Perspektive seines Werks er auf die
Ketzergeschichte gewirkt habe26. Allerdings konzediert Bloch dort (S.
1002): Ja für einen allwissenden Gott ist umgekehrt die Geschichte als
Prozeß nicht existierend“, wie denn auch schon Scholz im Zusammen-
hang seiner These von den „geschichtszerstörenden Voraussetzungen
[... ] in der Überspannung des Gottesbegriffs“ gesagt hatte, als er „den
Bankerott der Geschichte vor der Idee der Prädestination“ diagnosti-
zierte und die „Idee der Präszienz“ als „für die Geschichte vielleicht
noch tödlicher“ ansah: „Für Gott ist die Geschichte als Prozeß nicht
existierend“27.
Auf das große Thema Heilsgeschichte ist später einzugehen (vgl.
Kap. 3 (2) und 4). Hier ist nur die Vorstellung gerichteter Zeit zurück-
zuweisen. In „De civitate Dei“ ist die Zeit bloße Veränderlichkeit und
die Geschichte bloße Veränderung, ein Laufen, ein bunter Wechsel
der Zeiten28, den der Lauf der beiden „civitates“ bewirkt, der doch nur
die Sukzession von Geborenwerden und Sterben ihrer Glieder ist29,
und die Zeit der Welt tut für das Ewigkeitsgeschick der Erwählten
nichts anderes als Zählen und Summieren30. Hat die Weltzeit diese
Aufgabe vollbracht, alle individuellen Ewigkeitsschicksale der von
Gott vorbestimmten Anzahl der Erwählten anzusammeln, kann sie
wieder abtreten und in die Ewigkeit Gottes zurückkehren. So sagt
Augustin einmal (De bono vid. 23, 27): „Als ob die Welt noch zu
einem anderen Zweck ihr Dasein fristete, als um die vorbestimmte
Zahl der Heiligen vollzumachen“. An der Dauer der Welt hat also
gewissermaßen der Sündenfall Schuld; ohne ihn wären alle geborenen
26 Vgl. o. S. 70.
27 Scholz, Glaube und Unglaube, S. 148 und 150. Kräftiger als die dort S. 151 für den
Satz „Gottes Allwissenheit hebt die Evolution der Geschichte auf1 gegebenen
Augustinbelege ist civ. 17,7 (II, p. 222,14-15): „quicumque enim ad Christum tran-
sierunt vel transeunt vel transibunt inde (sc. a populo Israel), non erant inde secun-
dum Dei praescientiam“. Denn hier ist sogar geschichtliche Faktizität und zeitliche
Veränderung aufgehoben vor Gott.
28 Vgl. civ. 18,1 (II, p. 256,7 sqq): „cum in hoc saeculo [... ] ambae (sc. civitates) [... ]
simul suo procursu tempora variaverint“. Vgl. conf. 3, 7, 13 (p. 47,8-10).
29 Vgl. civ. 15,1 (II, p. 59,4 sq.); 17,1 (II, p. 197,23-25).
30 Vgl. Kamlah, Christentum u. Geschichtlichkeit, S. 313 mit Anm. 701: Hinweis auf
civ. 22,1 (II, p. 554,17-22) u. a. Vgl. Duchrow, Zweireichelehre, S. 305: „Unter ihrem
(sc. der Praedestinationslehre) Aspekt hat der gesamte Weltverlauf nur den einzi-
gen Sinn, die der civitas Dei durch den Fall der Engel verloren gegangene Anzahl
von Mitgliedern wieder aufzufullen“.
 
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