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Schmidt, Ernst A.; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1985, 3. Abhandlung): Zeit und Geschichte bei Augustin: vorgetragen am 14. Juli 1984 — Heidelberg: Winter, 1985

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https://doi.org/10.11588/diglit.47817#0077
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Zeit und Geschichte bei Augustin

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Menschen Heilige (und Unsterbliche)31 gewesen und damit deren von
Gott prädestinierte Anzahl32 und insofern auch das Weitende schneller
erreicht worden.
So wie der diesseitig institutionelle Charakter der „civitas Dei“ bei
Bloch aus Augustins Wirkung auf Papstkirche und Kaisertum im Mit-
telalter und ihrer Erneuerung im katholischen Konservatismus
(sacrum-imperium-Idee; insbes. Salin) gewonnen worden war, so ihr
Wesen als Sinn und Ziel diesseitiger Geschichte aus sozialrevolutionä-
ren Häresien des Mittelalters, wie sie dem Autor des „Thomas Münzer
als Theologe der Revolution“ (München 1921) in den Blick gekommen
waren. Die Entspannung der augustinischen Theologie in die Dies-
seitigkeit von Institution und Revolution faßt damit die gegenstrebige
mittelalterliche Wirkungsgeschichte, im christlichen Establishment4
(den herrschenden4) und bei den Unterdrückten4, die „Dialektik der
mittelalterlichen Geschichtlichkeit“33 Augustins, zur Einheit zusam-
men. Auch die Scholz entnommene Formel vom Kampf des Glaubens
und des Unglaubens, verstanden als Weltgeschichte eines „antitheti-
schen Heilsprozesses“ (Bloch, S. 585), ist letzten Endes säkularisierte
Apokalypse. Die Verzeitlichung der Utopie seit der späten Aufklä-
rung34, d. h. die Einbeziehung der Utopie in die Geschichtsphiloso-
phie, und die parallel laufende Transformation der christlichen Escha-
tologie in säkulare Geschichtsphilosophie35, für die offenbar deren
sozialrevolutionäre Verdiesseitigung im Mittelalter ein Vorläufer
war36, erweisen sich somit als Voraussetzungen für Blochs geschichts-
31 Vgl. civ. 14,10 (II, p. 27,5 sqq.); 14,23 (II, p. 47,9-20); retract. 1,13,8.
32 Vgl. Kamlah, Christentum u. Geschichtlichkeit, S. 313: nicht „teleologischer Fort-
schritt der Menschheit“, „sondern zahlenmäßig voranschreitende Wiederherstel-
lung der einst beschädigten Gottesstadt“.
33 Carl Andresen (Hrsg.), Zum Augustin-Gespräch der Gegenwart, Darmstadt 1962,
Vorwort, S. 22 und 26, von Andresen hinsichtlich des politischen Augustinimus nur
auf Papst und Kaiser bezogen (ohne Berücksichtigung der Ketzerbewegungen).
,34 Vgl. Reinhart Koselleck, Die Verzeitlichung der Utopie. In: W. Voßkamp (ed.),
Utopieforschung, 3 Bde., Stuttgart 1982, Bd. 3, S. 1-14; Wilhelm Voßkamp, „Fort-
schreitende Vollkommenheit“ (Der Übergang von der Raum- zur Zeitutopie im
18. Jh.). In: E. R. Wiehn (ed.), 1984 und danach. Utopie, Realität, Perspektiven,
Konstanz 1984, S. 81-102.
35 Vgl. o. Anm. 9.
36 Vgl. Löwith, Weltgeschichte, S. 158 (136). Vgl. auch (allgemeiner) Marrou, Temps
de l’histoire chez A., S. 15 mit Anm. 2: Prozeß der „profanation et depossession“
fuhrt von mittelalterlicher Theologie in augustinischer Tradition zur Geschichts-
philosphie.
 
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