Zeit und Geschichte bei Augustin
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auch daran sichtbar, daß nicht nur der einzelne irdische Staat, sondern
auch Staaten „civitas terrena“ (im Singular) sein können (vgl. z. B. civ.
15,17; II, p. 153,32 sqq.), ohne daß doch „civitas terrena“ (so sehr es ein
spiritueller Begriff ist) die Idee irdischer Staatlichkeit bezeichnet.
3. Das, was der Bezeichnung „Staat“ als Phänomenbestand in der
Wirklichkeit entspricht, kann, unter anderem Aspekt und in anderer
Akzentuierung, als etwas anderes bezeichnet werden, weil es in der Tat
auch etwas anderes ist. Dennoch verfuhren solche Synonyme immer
wieder zur Identifikation, „civitas“ kann als die „Bürgerschaft“, die
einen,Staat4 bildet bzw. die ein Staat voraussetzt, der Sache,Staat4 sehr
nahestehen (vgl. z. B. I, p. 26 sq. und 48) und ist doch von ihr so unter-
schieden, wie etwa „patria“ sich von „res publica“ unterscheidet.
Die nach den „Tychonius-Studien“ Traugott Hahns (1900) möglich
gewordene Verbindung der augustinischen Lehre von den beiden
„civitates“ mit dem Apokalypsenkommentar (kurz vor 380 n. Chr.) des
afrikanischen Reformdonatisten hat Scholz, Glaube und Unglaube, S.
78 ff. im wesentlichen richtig, wenn auch mit gewisser Überbetonung,
herausgestellt41. Nimmt man die gründlichen Untersuchungen
Duchrows (Zweireichelehre, S. 181ff.)42 hinzu, so gewinnt man ein
adäquates Bild, das hier nach den folgenden drei Gesichtspunkten
schematisch dargestellt sei.
(a) Die Stadt Jerusalem; Bibelsprache und typologische Psalmenaus-
legung sowie typologische Bedeutung im NT.
Es ist die Sprache der Bibel, der Psalmen, des Hebräerbriefes und der
Offenbarung, die Augustin das Wort „civitas“, seinen Kontext und
seine Bedeutung gaben - eine Bedeutung, die dem lateinischen Wort,
wie man es gebrauchte, ganz natürlich war - und die nun uns seine
Übersetzung diktieren: die Stadt Jerusalem43.
41 Auch Scholz gibt neben Tyconius schon eine weitere Vorgeschichte der Zwei-
reichelehre, von Platons Politeia bis zu Ambrosius (Glaube und Unglaube, S. 71-
78); doch scheint mir sein Überblick sowohl im systematischen Sinn wie auch im
Hinblick auf die historische Genese des augustinischen Grundgedankens durch
Duchrow überholt. - Knappe Zusammenfassung zu Augustin und Tyconius bei
Duchrow, Zweireichelehre, S. 220-223; S. 232 f.
42 Vgl. auch Maier, A. u. Rom, S. 146-152.
43 Man muß zwischen Übersetzung und Bedeutung durchaus unterscheiden. Als
Übersetzung ist Duchrows Vorschlag „Herrschaftsverband“ unmöglich: Jerusa-
lem1 ist nicht ,ein hochgebauter Herrschaftsverband1. Wegen der allegorischen Psal-
menauslegung und der Sprache der Apokalypse ist „Gottesstadt“ die einzig mög-
liche Übersetzung von „civitas Dei“. Die Titel der englischen und französischen
Übersetzungen des Werkes lauten “The City of God”, „La Cite de Dieu“; hier ent-
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auch daran sichtbar, daß nicht nur der einzelne irdische Staat, sondern
auch Staaten „civitas terrena“ (im Singular) sein können (vgl. z. B. civ.
15,17; II, p. 153,32 sqq.), ohne daß doch „civitas terrena“ (so sehr es ein
spiritueller Begriff ist) die Idee irdischer Staatlichkeit bezeichnet.
3. Das, was der Bezeichnung „Staat“ als Phänomenbestand in der
Wirklichkeit entspricht, kann, unter anderem Aspekt und in anderer
Akzentuierung, als etwas anderes bezeichnet werden, weil es in der Tat
auch etwas anderes ist. Dennoch verfuhren solche Synonyme immer
wieder zur Identifikation, „civitas“ kann als die „Bürgerschaft“, die
einen,Staat4 bildet bzw. die ein Staat voraussetzt, der Sache,Staat4 sehr
nahestehen (vgl. z. B. I, p. 26 sq. und 48) und ist doch von ihr so unter-
schieden, wie etwa „patria“ sich von „res publica“ unterscheidet.
Die nach den „Tychonius-Studien“ Traugott Hahns (1900) möglich
gewordene Verbindung der augustinischen Lehre von den beiden
„civitates“ mit dem Apokalypsenkommentar (kurz vor 380 n. Chr.) des
afrikanischen Reformdonatisten hat Scholz, Glaube und Unglaube, S.
78 ff. im wesentlichen richtig, wenn auch mit gewisser Überbetonung,
herausgestellt41. Nimmt man die gründlichen Untersuchungen
Duchrows (Zweireichelehre, S. 181ff.)42 hinzu, so gewinnt man ein
adäquates Bild, das hier nach den folgenden drei Gesichtspunkten
schematisch dargestellt sei.
(a) Die Stadt Jerusalem; Bibelsprache und typologische Psalmenaus-
legung sowie typologische Bedeutung im NT.
Es ist die Sprache der Bibel, der Psalmen, des Hebräerbriefes und der
Offenbarung, die Augustin das Wort „civitas“, seinen Kontext und
seine Bedeutung gaben - eine Bedeutung, die dem lateinischen Wort,
wie man es gebrauchte, ganz natürlich war - und die nun uns seine
Übersetzung diktieren: die Stadt Jerusalem43.
41 Auch Scholz gibt neben Tyconius schon eine weitere Vorgeschichte der Zwei-
reichelehre, von Platons Politeia bis zu Ambrosius (Glaube und Unglaube, S. 71-
78); doch scheint mir sein Überblick sowohl im systematischen Sinn wie auch im
Hinblick auf die historische Genese des augustinischen Grundgedankens durch
Duchrow überholt. - Knappe Zusammenfassung zu Augustin und Tyconius bei
Duchrow, Zweireichelehre, S. 220-223; S. 232 f.
42 Vgl. auch Maier, A. u. Rom, S. 146-152.
43 Man muß zwischen Übersetzung und Bedeutung durchaus unterscheiden. Als
Übersetzung ist Duchrows Vorschlag „Herrschaftsverband“ unmöglich: Jerusa-
lem1 ist nicht ,ein hochgebauter Herrschaftsverband1. Wegen der allegorischen Psal-
menauslegung und der Sprache der Apokalypse ist „Gottesstadt“ die einzig mög-
liche Übersetzung von „civitas Dei“. Die Titel der englischen und französischen
Übersetzungen des Werkes lauten “The City of God”, „La Cite de Dieu“; hier ent-