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Schmidt, Ernst A.; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1985, 3. Abhandlung): Zeit und Geschichte bei Augustin: vorgetragen am 14. Juli 1984 — Heidelberg: Winter, 1985

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https://doi.org/10.11588/diglit.47817#0084
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Ernst A. Schmidt

Nicht nur der Gesamtverband aus Engeln und Gottesbürgern, aus
Dämonen und fleischlichen Menschen wird je als „civitas“ bezeichnet,
sondern auch der jeweilige Gesamtverband aller solcher Menschen
zu einer bestimmten Zeit oder der Repräsentant eines solchen Ver-
bandes über eine bestimmte Epoche hin. Insofern wird auch die
Kirche „civitas Dei“ genannt, als Fremde in dieser Welt. Und irdische
Staaten als Verbände von fleischlich gesinnten Menschen können
auch selbst „civitas terrena“ heißen. Also nicht, weil der Staat als
irdische Institution schon selbst Teufelswerk wäre, sondern nur, weil
bzw. wenn er in seinem Charakter und in seinen Staatsbürgern sich als
„civitas terrena“ erweist, „civitas terrena“ ist so wenig mit „Staat“ iden-
tisch, daß es gerade zu ihrem Wesen gehört, sich immer wieder zu ent-
zweien (vgl. civ. 15,4; II, p. 63,3 sq.; 15,5; II, p. 65,9), der Krieg zwi-
schen zwei Staaten also Kampf innerhalb der einen „civitas terrena“ ist.
Aber eben in solchen Kämpfen, solcher politischer Gewalt, offenbart
sich doch auch wieder jeder dieser Staaten als „civitas terrena“.
Wie immer in dieser Weltzeit so sind auch in Augustins Gegenwart
„civitas Dei“ und „civitas terrena“ „verflochten und vermischt“49. Dies
nicht, weil Kirche und Staat wie zwei Staaten nebeneinander existier-
ten oder die Kirche als Staat im Staate gölte, sondern weil die Zeit-
genossen, die Bewohner des Römischen Reiches, zum Teil zur Gottes-
bürgerschaft gehören - in der Regel innerhalb der Kirche -, zum ande-
ren Teil zur irdischen Bürgerschaft - außerhalb, aber auch innerhalb
der Kirche50.
Es geht Augustin also auch weder um die Problematik von Kirche
und Staat noch um den Entwurf eines irdischen Idealstaates, eines
christlichen Staates als „civitas Dei“, noch um Kirche als staatsähnliche
Anstalt, als Priesterstaat, und irdische Institution des Gottesreichs.
Salin und Bloch und die Vertreter einer sacrum-imperium-Deutung
Augustins sind seit Troeltsch, A. u. Christ. Antike oder spätestens
Kamlah, Christentum u. Geschichtlichkeit als widerlegt anzusehen.
Eine besonders erhellende Illustration des augustinischen Sprach-
gebrauchs bieten seine Betrachtungen über Kain und Romulus51.
49 Vgl. civ. 1,35 (I, p. 51,25-27); 11,1 (I, p. 462,8-10).
50 Zur Vermischung vor Christus außerhalb Israels vgl. civ. 18,23 und 47; zur Ver-
mischung innerhalb der Kirche vgl. auch civ. 18,49.
51 Vgl. Scholz, Glaube und Unglaube, S. 85. Die im Text folgenden Zitate ohne Stel-
lenangabe alle aus civ. 15,5; II, p. 64. - Vgl. auch die Fügung „rem publicam civitatis
Hierusalem“ in Enarr. in ps. 61,8.
 
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