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Schmidt, Ernst A.; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1991, 2. Abhandlung): Ovids poetische Menschenwelt: die Metamorphosen als Metapher und Symphonie ; vorgetragen am 3. Juni 1989 — Heidelberg: Winter, 1991

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https://doi.org/10.11588/diglit.48162#0027
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Ovids poetische Menschenwelt

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§ 5 Der Mensch als Ebenbild der Götter
Die narrative Kosmologie einer Welt für den Menschen hat ,vor der
Erschaffung des Menschen1 von der Providenz Gottes und von ausgegli-
chenen Klimazonen im Unterschied zu unbewohnbaren gesprochen
(met. 1,45ff.). Damit kündigt sich der Mensch als Thema in der Weise
an, daß er von nun an spürbar ,noch fehlt1, was sich auch sogleich noch
verstärkt. Der Gott weist den Donnern ihren Sitz zu: „illic consistere
[. . .]/ iussit [. . .] humanas motura tonitrua mentes11 (met. l,54f.). So er-
fahren wir schon hier, noch ,vor der Schöpfung des Menschen1, von ei-
ner auszeichnenden Qualität dieses Wesens: daß es eine „mens“ hat, die
sich von göttlichen Zeichen bewegen läßt (vgl. met. 1,76: „mentis [. . .]
capacius altae“). Die letzte Hinführung auf den Menschen in den vier
Versen (met. 1,72-75) vor dem Bericht der Menschenschöpfung wird
erst im Nachhinein als eine solche thematische Überleitung erfaßt. Die
Bereiche des Kosmos werden mit Lebewesen erfüllt: der Himmel mit
Sternen und Göttergestalten - offenbar sind die Sterne als Götter und
die anthropomorphen Götter als verschieden gedacht-, das Wasser mit
Fischen, die Erde mit wilden Tieren, die Luft mit Vögeln.
Nur der Mensch fehlt noch. Da heißt es bei Ovid (met. 1,76-86):
„Noch fehlte ein Lebewesen, heiliger als diese, fähiger, den hohen Geist
aufzunehmen, und imstande, die übrigen zu beherrschen. Es entstand
der Mensch, sei es, daß ihn aus göttlichem Samen jener Weltschöpfer
schuf, der Ursprung der besseren Welt, sei es, daß die junge Erde, erst
kürzlich vom hohen Äther getrennt, noch Samen des verwandten Him-
mels zurückbehielt; diese mischte der Sproß des Iapetus mit Regenwas-
ser und formte sie zum Ebenbild der alles regierenden Götter. Und wäh-
rend die übrigen Lebewesen nach vorn geneigt zur Erde blicken, gab er
dem Menschen ein nach oben schauendes Antlitz, gebot ihm, den Him-
mel zu sehen und das Gesicht aufrecht zu den Sternen zu erheben11.13
Ovid gibt mit „sive . . . sive . . .“ (met. 1,78/80) zwei alternative Versio-
nen der Menschenschöpfung, eine stoisch-philosophische und eine my-
thologische - und Ovid legt dem Leser solche Alternativen gerade dann
und nur dann vor, wenn eben beide gelten sollen.14 Nicht, daß er nicht
gewußt hätte, welcher er ,glauben1 sollte. Sondern: er konnte sich nicht
13 Übersetzung v. Albrecht.
14 Vgl. fast. 5,1-110: Zum ersten Mal in den Fasten drei Erklärungen für den Monatsna-
men, zum ersten Mal von den Musen gegeben. Die Unentschiedenheit besagt, daß alle
drei Erklärungen insofern gelten, als sie alle drei für Ovids musische Darstellung des
Monats die Leitthemen vorgeben. Das fünfte Fastenbuch kann in Auswahl, Reihenfolge
 
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