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Schmidt, Ernst A.; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1991, 2. Abhandlung): Ovids poetische Menschenwelt: die Metamorphosen als Metapher und Symphonie ; vorgetragen am 3. Juni 1989 — Heidelberg: Winter, 1991

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.48162#0036
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Ernst A. Schmidt

Die Bestrafung Lycaons, des Repräsentanten (thematisch, nicht hi-
storisch) zugleich des Eisernen Geschlechts und der Menschen aus Gi-
gantenblut38, und die Vernichtung des Menschengeschlechts in der Flut
besagt nicht historisch, daß wölfische Menschen und Geschlecht aus Gi-
gantenblut in unserem Menschenbild und für die Metamorphosen über-
holt seien. Im Gegenteil: nicht nur ist die „feritatis imago“ (met. 1,239)
des Wolfes zeitunabhängige Metapher eines menschlichen moralischen
Charakters, sondern Lycaon mitsamt seiner Strafe ist auch Prototyp vie-
ler Gestalten der Metamorphosen, zumal des Pentheus, des Pyreneus,
des Typhoeus und des Lyncus (met. 3-5). All ihre Verbrechen werden
erst gesühnt (thematisch, nicht historisch-pragmatisch) von Philemon
und Baucis (met. 8), die ihrerseits (thematisch) eine Reprise von Deuca-
lion und Pyrrha darstellen.
Die Vertilgung des Menschengeschlechts spart ein Menschenpaar
aus, das im Gegensatz zu met. 1,160-162 („contemptrix superum“, „avi-
dissima caedis“, „violenta“) und in thematischer Übereinstimmung mit
v. 76 („sanctius [. . .] mentisque capacius altae“) schuldlos („innocui“)
und gottesfürchtig („cultores numinis“, v. 327) ist. Man fragt nicht, wie
nach der Depravation der Zeitalter bzw. nach der Erschaffung von Men-
schen aus Gigantenblut die Existenz solcher Menschen pragmatisch-hi-
storisch möglich sei. Ovid komponiert nicht historisch, nicht in kausalen
Prozeßfolgen. Der ,Hörer1 soll sich der Reprise der ersten Themen-
durchführung und der Verwandlung des Themas in ihr freuen. Der Sohn
und die Nichte (vgl. met. 1,352) des ersten Menschenbildners Prome-
theus, Deucalion und Pyrrha, erbitten von Themis - Gegenmotiv zur
Astraea Virgo, die in Eiserner Zeit die Menschen verlassen hatte - die
Neuerschaffung des Menschengeschlechts. Aus Steinen, den Knochen
der Mutter Erde, entstehen neue Menschen.39 Es entstehen (dieses Mo-
die communis opinio - und nicht vielmehr die ,Hochzeit1 (gen.subj.) von Uranos und
Gaia gemeint sei (und also „tempus“ nicht der Zeitpunkt eines einmaligen Ereignisses,
sondern der Zeitabschnitt der Umarmungen und Zeugungen wäre), ist zumindest (vor
Hesiod als Hintergrund) zu bedenken. - Die lucilische und die ovidische Götterver-
sammlung stehen natürlich zuletzt in der Tradition des olympischen Götterrats am An-
fang der Kyprien (Cypr., fr. 1 Allen).
38 „omne nefas“, ,Verachtung der Götter1, Gewalttat und Mordgier von met. 1,129 und
161 f. kehren in Jupiters Bericht wieder: Anschlag auf den Herrn des Blitzes (v. 197f.
224f.); Mord und Menschenfleisch als Mahl für den Gast (v. 226ff.); Freude an Blut
(v. 235); „violentia“ (v. 238).
39 So wie bei Ovid der Erschaffung der Tiere die des Menschen in der ersten Themendurch-
führung folgt (met. 1,74ff.), läßt Vergil in ecl. 6,39ff. der Entstehung der Tiere den
Halbvers folgen: „hinc (sc. Silenus canebat) lapides Pyrrhae iactos“. Bei Vergil kommen
 
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