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Schmidt, Ernst A.; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1991, 2. Abhandlung): Ovids poetische Menschenwelt: die Metamorphosen als Metapher und Symphonie ; vorgetragen am 3. Juni 1989 — Heidelberg: Winter, 1991

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.48162#0038
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Ernst A. Schmidt

dichts. Der Mensch ist ein Himmelswesen; er ist auch ein Erdwesen: in
ihm sind vereint die Gewalttätigkeit des Blutes der Erdsöhne und die
Härte der Erdknochen, der Steine, jene Steinhärte, die als Wesen so
mancher Figuren der Dichtung ihre Metamorphose bestimmt, zumal die
der Propoetiden und die der Aglauros.
Die Erschaffung des Menschen in ihrer dreifachen Variation, vom
Sinn und Ziel der Kosmogonie an über den Ursprung aus Gigantenblut
und Steinen, ist die dichterische Herstellung des Gegenstandes der Ver-
wandlungen - das ist der Mensch - und des Themas der Dichtung - das
ist der Mensch in der Mannigfaltigkeit seines Wesens und Schicksals,
wie sie sich in den Gestalten der Verwandlungen vom Stein bis zum Gott
spiegeln. Beide Varianten des ersten Schöpfungsberichts sind keine Me-
tamorphosen; das ist für „divino semine fecit“ (met. 1,78) evident, und
im Blick auf die von Prometheus geformte Erde, von der Ovid abschlie-
ßend betont, daß sie ,roh und formlos4 (v. 87: „rudis et sine imagine“)
gewesen war, ist daran zu erinnern, daß Metamorphose, als Verwand-
lung von Form, Form voraussetzt. Die Erzählung von der Menschenent-
stehung wird aber zunehmend metamorphosenähnlicher, und, indem
sie über „calidumque animasse cruorem / et [...]/ in faciem vertisse ho-
minum“ (met. 1,158-160) zu einer auch sprachlich und motivisch verita-
blen Metamorphose bei den Steinmenschen des frommen Titanidenpaa-
res gelangt, leitet sie auch so zu den eigentlichen Metamorphosen über.

men in sich wäre danach, mythisch-personal gesprochen, die nach der Trennung von
Uranos schwangere Gaia; die „semina“ deuteten statt auf naturphilosophische στοιχεία
wie in met. 1,9 nun auf mythischen Göttersamen in v. 81, und bei „tellus“ gäbe es schon
hier die Assoziation einer göttlichen Person. Vgl. auch o. Anm.37 zu Lucilius, fr. 1.
Stehen Uranos und Gaia beim ersten Schöpfungsbericht allenfalls im Hintergrund, so ist
im zweiten Gaia personhaft präsent. Und ihre Söhne, die Giganten, aus deren Blut sie
Menschen macht, hat sie nach Hesiod, Theog. 185 geboren, nachdem sie von den Bluts-
tropfen des von seinem Sohn entmannten Uranos schwanger geworden war. (Sofern die
Giganten bei Ovid mit den ,Hundertarmigen‘ gleichgesetzt sind - met. l,183f. ist
Hesiod, Theog. 147ff. zu vergleichen: die Hundertarmigen sind die Kinder von Uranos
und Gaia). Themis, die für die dritte Menschenerschaffung aus Erde das Orakel gibt, ist
eine Tochter von Uranos und Gaia (Hesiod, Theog. 135). Sie ist wohl erst von Ovid (bei
Apollodor 1,7,2: Zeus) um der Entsprechung zur Astraea Virgo (Δίκη) willen sowie als
Gegenbild zur „victa pietas“ (met. 1,149f.) eingeführt. Zwar ist Themis nach Aesch.,
Prom. 18 Mutter des Prometheus und der dritte Schöpfungsbericht geradezu eine Re-
union der Prometheusfamilie, da seine Großmutter (Gaia), Mutter (Themis), sein Sohn
(Deucalion) und seine Nichte (Pyrrha) Zusammenwirken. Aber Familienhistorie ist hier
nicht Ovids Blickwinkel.
 
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