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Schmidt, Ernst A.; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1991, 2. Abhandlung): Ovids poetische Menschenwelt: die Metamorphosen als Metapher und Symphonie ; vorgetragen am 3. Juni 1989 — Heidelberg: Winter, 1991

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https://doi.org/10.11588/diglit.48162#0044
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Ernst A. Schmidt

den Rahmenpartien des Werks mit „zeitlicher Abfolge“ dazwischen na-
hezu unangreifbar, aber ihre Formulierung läßt nur zu leicht vergessen,
daß ein solcher Wandel und Prozeß in den 11500 Versen dazwischen
nicht die geringste Rolle spielt und in keiner Weise strukturbildend11 ist.
Es hat daher kein Fundament in den Metamorphosen, wenn Walther
Ludwig unter Berufung auf Ernst Zinn12 formuliert: mit der „Entwick-
lung vom Chaos zum Kosmos“ (sc. in met. 1,5-451) „wird nicht so sehr
eine Einführung gegeben, als vielmehr in der Urzeit jene Entwicklung
präformiert, die der Gegenstand des ganzen Werkes sein wird, das vom
uranfänglichen Chaos zum Kosmos der augusteischen Ordnung
führt“.13 Eine solche Entwicklung läßt sich im Corpus des Werks zwi-
schen den rahmenden Partien nicht nachweisen und ist auch in Ludwigs
Buch sonst nirgendwo zu erkennen: er macht bei seiner Aufbauanalyse
der Metamorphosen von seiner Gesamtdeutung keinen Gebrauch. Der
Prozeß von Chaos zu Kosmos ist nicht Ovids Gegenstand; sein Werk ist,
wenn überhaupt Versinnlichung einer Idee, nicht die Verkörperung die-
ser Fortschrittsidee.
Ebenso wie Ludwig vertritt Buchheit in Nachfolge Zinns die Auffas-
sung14, die Metamorphosen seien „ein Gedicht, in dem die Deutung des
Kosmos im Hinblick auf Rom und seine Geschichte“ erfolge. „Der
Verlauf der Metamorphosen [. . .] als ein Weg vom Chaos zum Kos-
mos“ wird von Buchheit (wie von Ludwig) so verstanden, daß der urge-
schichtliche Prozeß vom Chaos zum Kosmos (met. 1,5-451) „eine Anti-
zipation des Ganzen“ darstelle. Buchheit analysiert diese Urgeschichte
als durch zeitgenössische Anspielungen als solchen verdeutlichten my-
thischen Archetyp für das Werk des Augustus. Der urzeitliche Mythos
spiegelt damit allenfalls die zeitgenössische römische Geschichte, Au-
gustus als den Überwinder des Bürgerkriegs, nicht aber die römische
Geschichte überhaupt, geschweige ,das Ganze‘ der Metamorphosem.
an deren Anfang, nämlich nach der ,Urzeit‘ (denn sonst kann diese
nicht Antizipation sein, wenn sie Teil ist), in met. 1,452ff., findet sich
kein Chaos und auch kein geschichtlicher Prozeß, der zu Buch 15
führte.15
11 Vgl. v. Albrecht (1963), Ovids Humor, S. 410 (indirekt).
12 Zinn (1956), Weltgedicht, S. 19f.
13 Ludwig (1965), Struktur der Metamorphosen, S. 19.
14 Buchheit (1966), Mythos und Geschichte, S. 831.
15 Man hat allerdings den Verdacht, daß Ludwig und Buchheit im Urzeitmythos die ganzen
Metamorphosen, d. h. incl. der Urzeit, gespiegelt sehen (vgl. im obigen Zitat Ludwigs:
„Gegenstand des ganzen Werkes, das vom uranfänglichen Chaos ...“): das Chaos vor
 
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