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Schmidt, Ernst A.; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1991, 2. Abhandlung): Ovids poetische Menschenwelt: die Metamorphosen als Metapher und Symphonie ; vorgetragen am 3. Juni 1989 — Heidelberg: Winter, 1991

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.48162#0063
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Ovids poetische Menschenwelt

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tragbaren Fähigkeit, Ähnlichkeiten zu sehen.16 In der theoretischen Me-
tapherndiskussion wird unterschieden zwischen vorausgesetzten objek-
tiv gegebenen Metaphern (bzw. geschichtlich eingeübten und deshalb
allgemein verfügbaren) und neu gesehenen, allererst konstituierten
Ähnlichkeiten.17 Wie beim homerischen Gleichnis, so findet auch über-
haupt bei der Ähnlichkeitskonstituierung der Metapher eine Inter-
aktion zwischen dem sog. eigentlichen und dem übertragenen Ausdruck
statt. Der Fels, mit dem im Gleichnis die Griechen gegenüber dem An-
sturm Hektors verglichen werden {Ilias 15,617ff.), der Fels, wie er in der
Brandung unerschüttert dem Ansturm der Brecher standhält, er wird
dabei zugleich ,vermenschlicht‘. Das hat Bruno Snell uns so bewußt se-
hen gelehrt18: „Daß der Fels ein menschliches Verhalten deutlich macht,
also ein toter Gegenstand etwas Lebendiges, beruht darauf, daß dieser
tote Gegenstand anthropomorph gesehen wird: das unbewegliche Ste-
hen der Klippe in der Brandung wird gedeutet als ein Ausharren, so wie
der Mensch ausharrt in einer bedrohten Situation. Der Gegenstand wird
also tauglich, im Gleichnis etwas zu veranschaulichen, dadurch, daß in
diesen Gegenstand das hineingesehen wird, was er dann seinerseits illu-
striert. Dies eigentümliche Verhältnis, daß menschliches Verhalten erst
deutbar wird durch etwas, das selbst erst nach diesem menschlichen Ver-
halten gedeutet ist, gilt auch für alle anderen homerischen Gleichnisse,
ja, es gilt weit darüber hinaus bei den echten Metaphern und überhaupt
überall dort, wo der Mensch etwas ,versteht‘.“19
Ebenso wird der Wolf, in den Lycaon verwandelt wird und der nun
dessen Metapher ist, bei Ovid ganz konkret-erzählerisch vermensch-
licht. Wolf-Hartmut Friedrich20 spricht daher zu Recht von der „durch-
gehende(n) Bezogenheit der Natur auf den Menschen“ bei Ovid und
von „Anthropomorphismus“. Die Metamorphose ,entrückt‘ den Men-
schen nicht so sehr ins ,Außermenschliche‘ (Zinn); sie vermenschlicht
die Welt.
Die Verwandlung ist bei Ovid immer das Ende der erzählten Ge-
16 Arist., poet. 1459a 6ff.: . . . τό μεταφορικόν [. . .] μόνον γάρ τοϋτο ούτε παρ’ άλλου έστι
λαβεϊν ευφυΐας τε σημειόν έστι · τό γάρ εύ μεταφέρειν τό τό δμοιον ϋεωρεΐν έστιν.
17 Vgl. Haverkamp (1983), Metapher, S. 18.
18 Snell (19553), Entdeckung des Geistes, S. 269.
19 Max Blacks Interaktionstheorie - Black (1954), Metapher - liegt in diesen Sätzen Snells
bereits vollständig vor; es fehlt nur ein zusammenfassender wissenschaftlicher Begriff.
Snells und Blacks Interaktionstheorie liegt in voller Bewußtheit schon in der poetischen
Konstruktion von Goethes ,Wahlverwandtschaften1 vor. Vgl. dazu u. S. 74f.
20 Friedrich (1953), Kosmos Ovids, S. 368.
 
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