Ovids poetische Menschenwelt
65
(Arme ~ Vorderbeine; Haar ~ Laub) hinausgehen, bleibt, mit Ausnahme
der Lycaonmetamorphose, der Sinn der Gesamtverwandlung unklar. Was
soll die Analogie Mensch - Stein, was die von Frau (so Pianezzola statt
Daphne) und Baum (richtig: Lorbeer)? Inwiefern ist (ein) Baum Meta-
pher für (eine) Frau? „Ed effettivamente assistere alla trasformazione,
per esempio, di Dafne in albero obbliga a vedere in modo inusitato la
struttura sia del corpo umano sia dell’albero“.29 Auch ich sehe wie Pianez-
zola in den Analogien der Teile (und ihrem wechselseitigen metaphori-
schen Gebrauch) ein Mittel, eine Technik, die „eccessiva distanza tra i due
termini“30 zu überbrücken. Aber diese Distanz (z. B. zwischen Lorbeer
und dem Mädchen Daphne) ist nicht „esiguitä del Ground“3\ ist nicht
spärliches Vorhandensein des Bedingungsgrundes für Metapher4, son-
dern gerade die auch bei ganz vertrauten Metaphern gegebene Realdistanz
zwischen den beiden Größen metaphorischen Redens (z. B. Held - Löwe;
sich einigeln; Jungfrau-Lamm), welche Realdistanz in der Metamor-
phose scheinbar realistisch überwunden werden muß.32
§11 Narrative und metaphorische Funktion der Metamorphose
Besteht nun aber nicht ein Widerspruch zwischen der Annahme, die
nichtmenschlichen Gestalten der Welt, zu denen die Verwandlungen
führen, stellten Metaphern für menschliches Wesen und Geschick dar,
und dem Befund, daß diese Verwandlungen ja selber je einen Teil der
Erzählung, ihr Ende oder Ziel, darstellen? Führt das nicht zu der abwegi-
gen Konsequenz, die Metapher stünde auch noch für die Verwandlung in
sie selbst? Dieser Widerspruch und diese Konsequenz liegen indessen
29 Pianezzola (1979), Metamorfosi come metafora, S. 91.
30 Pianezzola (1979), Metamorfosi come metafora, S. 85.
31 A. O. -„Ground“ nach I. A. Richards, The Philosophy of Rhetoric, New York-London
1936 für die gemeinsame Charakteristik1 von „tenor“ und „vehicle“ (Metapher). Vgl.
Pianezzola (1973), Tecnica ovidiana, S. 15.
32 Dazu, im Zusammenhang mit der Metamorphose der lykischen Bauern in Frösche, eine
ganz vorzügliche Analyse bei Pianezzola (1973), Tecnica ovidiana, S. 63f., aus der ich
diese beiden Sätze zitiere: „[...] il processo della metamorfosi, questo fenomeno invero-
simile e fantastico, si riduce alle susseguenze di processi assai semplici e abbastanza reali.
Un fatto fiabesco si presenta come somma di fatti abituali e verosimili (crescita, decres-
cenza, indurimento, rammollimento, l’incurvarsi, [.. . etc.].“ (Dies im Anschluß an Jurij
Konstantinovic SZeglov; Pianezzola nennt a. O., S. 29f. zwei italienische Übersetzungen
von Szeglovs Aufsatz über Strukturelemente in den Metamorphosen Ovids (vgl. Pianez-
zola, 1979, Metamorfosi come metafora, S. 81, Anm. 1). Vgl. o.S. 12, Anm. 1.
65
(Arme ~ Vorderbeine; Haar ~ Laub) hinausgehen, bleibt, mit Ausnahme
der Lycaonmetamorphose, der Sinn der Gesamtverwandlung unklar. Was
soll die Analogie Mensch - Stein, was die von Frau (so Pianezzola statt
Daphne) und Baum (richtig: Lorbeer)? Inwiefern ist (ein) Baum Meta-
pher für (eine) Frau? „Ed effettivamente assistere alla trasformazione,
per esempio, di Dafne in albero obbliga a vedere in modo inusitato la
struttura sia del corpo umano sia dell’albero“.29 Auch ich sehe wie Pianez-
zola in den Analogien der Teile (und ihrem wechselseitigen metaphori-
schen Gebrauch) ein Mittel, eine Technik, die „eccessiva distanza tra i due
termini“30 zu überbrücken. Aber diese Distanz (z. B. zwischen Lorbeer
und dem Mädchen Daphne) ist nicht „esiguitä del Ground“3\ ist nicht
spärliches Vorhandensein des Bedingungsgrundes für Metapher4, son-
dern gerade die auch bei ganz vertrauten Metaphern gegebene Realdistanz
zwischen den beiden Größen metaphorischen Redens (z. B. Held - Löwe;
sich einigeln; Jungfrau-Lamm), welche Realdistanz in der Metamor-
phose scheinbar realistisch überwunden werden muß.32
§11 Narrative und metaphorische Funktion der Metamorphose
Besteht nun aber nicht ein Widerspruch zwischen der Annahme, die
nichtmenschlichen Gestalten der Welt, zu denen die Verwandlungen
führen, stellten Metaphern für menschliches Wesen und Geschick dar,
und dem Befund, daß diese Verwandlungen ja selber je einen Teil der
Erzählung, ihr Ende oder Ziel, darstellen? Führt das nicht zu der abwegi-
gen Konsequenz, die Metapher stünde auch noch für die Verwandlung in
sie selbst? Dieser Widerspruch und diese Konsequenz liegen indessen
29 Pianezzola (1979), Metamorfosi come metafora, S. 91.
30 Pianezzola (1979), Metamorfosi come metafora, S. 85.
31 A. O. -„Ground“ nach I. A. Richards, The Philosophy of Rhetoric, New York-London
1936 für die gemeinsame Charakteristik1 von „tenor“ und „vehicle“ (Metapher). Vgl.
Pianezzola (1973), Tecnica ovidiana, S. 15.
32 Dazu, im Zusammenhang mit der Metamorphose der lykischen Bauern in Frösche, eine
ganz vorzügliche Analyse bei Pianezzola (1973), Tecnica ovidiana, S. 63f., aus der ich
diese beiden Sätze zitiere: „[...] il processo della metamorfosi, questo fenomeno invero-
simile e fantastico, si riduce alle susseguenze di processi assai semplici e abbastanza reali.
Un fatto fiabesco si presenta come somma di fatti abituali e verosimili (crescita, decres-
cenza, indurimento, rammollimento, l’incurvarsi, [.. . etc.].“ (Dies im Anschluß an Jurij
Konstantinovic SZeglov; Pianezzola nennt a. O., S. 29f. zwei italienische Übersetzungen
von Szeglovs Aufsatz über Strukturelemente in den Metamorphosen Ovids (vgl. Pianez-
zola, 1979, Metamorfosi come metafora, S. 81, Anm. 1). Vgl. o.S. 12, Anm. 1.