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Schmidt, Ernst A.; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1991, 2. Abhandlung): Ovids poetische Menschenwelt: die Metamorphosen als Metapher und Symphonie ; vorgetragen am 3. Juni 1989 — Heidelberg: Winter, 1991

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.48162#0072
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Ernst A. Schmidt

Kapitel 3: Ovids Transformation der aitiologischen Tradition zu
Universalanthropomorphismus und Weltgedicht

§ 12 Ovid in der Tradition des narrativen aitiologischen Kollektiv-
gedichts
Metamorphose ist nicht Welt- und Menschendeutung im weltan-
schaulichen Sinn ewigen Wandels. Sie ist im Gegenteil nichts als die
poetische Fiktion, nichts als die schöne Lüge1, einer vermenschlichten
Welt, einem Universalanthropomorphismus als letzter dichterischer
Blüte eines erst mythologisierten, dann säkularisierten Animismus und
Totemismus, zum Aition ihrer menschlichen Bedeutung eine menschli-
che Geschichte zu geben, und setzt daher gerade Formbestimmtheit und
Unveränderlichkeit voraus (wie ja auch die obigen Zitate - S. 58f. - von
Verewigung und Perpetuierung sprachen). Sobald man sich vergegen-
wärtigt, daß jede Geschichte der Metamorphosen auf eine feste Weltge-
stalt führt und diese eben mit ihrer Erzählung begründet, beleben und
vereinen sich zwei allgemein bekannte und anerkannte Sachverhalte zu
einer erschließenden Einsicht. Über die ovidische Kenntnis und Orien-
tierung an hellenistischen Kollektivgedichten2 besteht Konsens.3 Man
hat ebenso erkannt, daß die Verbindung von kallimacheischen und anti-
kallimacheischen4 poetologischen Positionen und ihr programmatischer
1 Pausanias 8,2,3-5 allerdings glaubt an die Metamorphosen des Lykaon sowohl als auch
der Niobe wie ebenso an Vergottungen von Menschen früherer Zeit wie Aristaios, Brito-
martis, Herakles, Amphiaraos, Polydeukes und Kastor.
2 Der Terminus stammt von Edgar Martini; vgl. Martini (1927), Ovid, S. 108, Anm. 11.
3 Vgl. z.B. Fleischer (1957), Zweitausendjahrfeier.
4 Vgl. z. B. Herter (1948), Ovids Kunstprinzip. Zu „perpetuum carmen“ (met. 1,4) wird in
der Kommentartradition und wissenschaftlichen Diskussion immer nur auf Call., fr. 1,3
Pf., die Polemik gegen (έν) άεισμα διηνεκές verwiesen, nicht jedoch darauf, daß „perpe-
tuus“ offenbar römischer terminus technicus in literaturtheoretischem Diskurs war. Vgl.
Varro, Sat. Menipp., fr. 398 Buecheler (aus dem Parmenop „poesis est perpetuum argu-
mentum ex rhythmis, ut Ilias Homeri et Annalis Enni.“ (Vgl. auch Cic.,fam. 5,12 (ad
Lucceium), 2 und 6: „a perpetuis suis historiis“ und „a continentibus tuis scriptis, in quibus
perpetuam rerum gestarum historiam complecteris“). Vgl. dazu Dahlmann (1953), Var-
ros Schrift ,de poematis1, S. 121: „ein in sich geschlossenes Dichtwerk, ein in allen seinen
Teilen einheitliches Ganzes.“ Ovid hätte demnach hier der Diskontinuität der kallima-
 
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