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Schmidt, Ernst A.; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1991, 2. Abhandlung): Ovids poetische Menschenwelt: die Metamorphosen als Metapher und Symphonie ; vorgetragen am 3. Juni 1989 — Heidelberg: Winter, 1991

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https://doi.org/10.11588/diglit.48162#0104
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Ernst A. Schmidt

chenhaften Sprödigkeit wirkt, steht die Greisin gegenüber, und wenn sie
auch von Apollo ein Lebensalter von tausend Jahren erhalten hat, so
wird doch trotz des schon erreichten siebenhundertsten Geburtstages
und einer weiteren Lebenserwartung von dreihundert Jahren (met.
14,145f.) die Hinfälligkeit des Menschen, die Vergänglichkeit durch Al-
ter spürbar. So sind Liebesgeschichten weiter vorn in den Metamorpho-
sen nicht erzählt worden. Hier hat eine atmosphärisch-thematische Ver-
schiebung stattgefunden, und das Motiv von Alter und Sterblichkeit und
Tod verbindet sich mit dem Liebesthema.
Stellen wir nun die dazwischen liegenden Liebesgeschichten Apollos
zusammen.1' Coronis (met. 2,542-547 und 598-632): Der Rabe meldet
dem Delphier die Untreue der Geliebten. Der Gott ist so betroffen, daß
ihm sein Lorbeerkranz (!) entgleitet. Er tötet Coronis mit dem Pfeil,
bereut sogleich, zu spät, die grausame Strafe und rettet aus der Sterben-
den das Kind, Aesculapius, nachdem er zuvor vergeblich sich bemüht
hat, mit ärztlicher Kunst das Geschick zu bezwingen (met. 2,617-620).
Diese Geschichte ist in ihrem Charakter völlig verschieden von der
Daphne-Erzählung.
Im Vorübergehen werden Liebesgeschichten Apollos gestreift in met.
2,683; 6,122-124; 9,329-333 und 11,301-310. In met. 10,106ff. steht die
Metamorphose des Cyparissus, eines Knaben, geliebt von dem Gott, „qui
citharam nervis et nervis temperat arcum“ (met. 10,108). Met. 10,162-219
ist die Geschichte von Apollos Liebe zu Hyacinthus, dem Tod des Knaben
durch einen vom Boden abprallenden Diskus, den der Gott im Spiel
geworfen hatte, und der Verwandlung des Toten (v. 206) bzw. seines
Blutes (v. 210ff.) in eine Blume. Apollo kann wie bei Coronis das Todes-
15 Ovid gibt sowohl Apollo, dem Sohn Jupiters und Herrn von Delphi und Delos, dem
Sohn der Latona und Bruder der Diana, als auch dem Sonnengott, Sol, dem Titanen
oder Titaniden, Sohn Hyperions, den Namen Phoebus: vgl. z.B. met. 1,452. 751f. Die
communis opinio setzt voraus, daß Ovid Apollo und Sol identifiziere. Der Befund be-
sagt das klare Gegenteil. In keiner Geschichte ist der Leser unsicher, ob er an Apollo,
den jugendlichen Herrn von Bogen und Leier, oder an den Sonnengott denken soll; die
mythologischen Gestalten, Funktionen und Geschichten sind eindeutig getrennt. So
gibt es z.B. im Zusammenhang der Liebe des Hyperionsohnes (met. 4,192) Sol zu Leu-
cothoe (met. 4,190ff.) einen Katalog von seinen Geliebten, nämlich Clymene, Rhodos,
(Perse =) die Mutter der Circe, Clytie (met. 4,204-208): lauter Heliosgeschichten, keine
Apollogeliebte. Umgekehrt gibt es in den Apollo-Erzählungen keinen Hinweis auf das
Amt des Helios. Die Selbstdarstellung Apollos in seiner Werbung gegenüber Daphne
erwähnt nur apollinische Kultorte und Funktionen. Vgl. dazu auch die erschöpfende
Analyse von Fontenrose (1940), Apollo and the Sun-God in Ovid (zur communis opinio
S. 430). Ich lasse die Sol-Geschichten im Katalog der Geliebten Apollos fort.
 
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