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Schmidt, Ernst A.; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1991, 2. Abhandlung): Ovids poetische Menschenwelt: die Metamorphosen als Metapher und Symphonie ; vorgetragen am 3. Juni 1989 — Heidelberg: Winter, 1991

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.48162#0123
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Ovids poetische Menschenwelt

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Thema der Apotheose im letzten Werkdrittel in steigernder Verdich-
tung darstellt. Gibt es auch ein Gegenthema zum Zorn, zu Haß und
Rache der Götter? Gibt es in den Metamorphosen Götterlieblinge, de-
ren Gunst bei den Göttern nicht sittlich motiviert ist, nicht auf virtus und
pietas beruht, sondern gleichsam unverdiente Huld ist? Es gibt auch
dieses Gegenthema, wenn auch nahezu ausschließlich in einer einseiti-
gen Ausprägung, der erotischen Liebe. Die Götterlieblinge der Meta-
morphosen sind Frauen und Knaben als Gegenstand erotischen Verlan-
gens, sexueller Bedrängung und Überwältigung, aber auch hingebender
und treuer Liebe von Göttern zu Sterblichen. Das Hauptthema Götter-
zorn und Götterstrafe steht damit thematisch und, wie wir sehen wer-
den, auch kompositorisch zwischen den Hauptthemen Götterliebe und
Apotheose, aber ohne daß dabei voneinander abgegrenzte und gegen-
einander isolierte Textblöcke anzusetzen wären.
Zum Thema „Götterzorn und Götterstrafe‘ gehört noch ein Motiv,
das allerdings nicht auf dieses Thema beschränkt ist, sondern auch mit
dem Thema ,Götterliebe‘ verbunden ist: das Motiv täuschender Götter,
der Täuschung durch vorübergehende Verwandlung, täuschender trü-
gerischer Gestalt in Verfolgung und zur Verwirklichung sexuellen Ver-
langens, täuschender Gestalt, um Menschen zu verführen und in Versu-
chung zu führen.19
19 Beispiele für täuschende Gestalt in Liebesgeschichten: der Katalog solcher Verführun-
gen auf dem Bildteppich der Arachne (met. 6,103-128: „elusam [. . .] imagine tauri“;
„satyri celatus imagine“; „luserit ignis“; „visus Enipeus“; „aries [. ..] fallis“; „luserit“;
„falsa deceperit uva“). Arachnes zorniger Furioso- und Prestosatz klagt die (männli-
chen) Götter an, die in Verwandlungen sterbliche Frauen täuschen und verführen, - und
die Verführbarkeit der Frauen. Ihr Katalog komplettiert lakonisch und enzyklopädisch
zugleich ein sonst im Gedicht eher spärlich auftretendes Motiv. Die anderen Beispiele:
Jupiter in Stiergestalt entführt Europa (met. 2,846ff.); mit dieser Geschichte beginnt
Arachne, sie zitiert in met. 6,105 den Passus met. 2,873f. und ergänzt das Ende von
Buch 2. Annäherungen begehrender Götter in Gestalt der Diana, der Mutter, eines
alten Weibes, die sich im Grunde schon durch die Art ihres Küssens verraten: Jupiter (>
Diana) - Callisto (met. 2,430f.); Sol (> Mutter Eurynome) - Leucothoe (met. 4,222);
Vertumnus (> Greisin) - Pomona (met. 14,658f.). Zum Motiv des im Verwandtenkuß
verborgenen erotischen Küssens vgl. die Inzestgeschichten: Byblis liebt Caunus, die
Schwester den Bruder (met. 9,456-460. 538f.); Myrrha liebt Cinyras, die Tochter den
Vater (met. 10,344. 362f.). Beispiele für täuschende Gestalt in Bestrafungsgeschichten:
Minerva als Greisin in der Arachne-Erzählung, von dem lydischen Mädchen als Täu-
schung betrachtet (vgl. oben zu ihrem Teppich), von der Göttin aber als Warnung ge-
dacht (vgl. met. 6,26ff., insbes. v. 32: „cede deae“). Götterverwandlung, um Menschen
in Versuchung zu führen, in der Geschichte von Merkur und Battus (met. 2,680-707) und
in Junos Verführung Semeles zu ihrem tödlichen Wunsch (met. 3,273ff.).
 
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