Metadaten

Schmidt, Ernst A.; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1991, 2. Abhandlung): Ovids poetische Menschenwelt: die Metamorphosen als Metapher und Symphonie ; vorgetragen am 3. Juni 1989 — Heidelberg: Winter, 1991

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.48162#0125
License: Free access  - all rights reserved

DWork-Logo
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Ovids poetische Menschenwelt

123

allein zur Artikulation ihrer Ovidinterpretation heranzogen, sondern es
auch Ovid selbst imputierten, insofern als es das universalhistorische
Aufbauprinzip seiner Dichtung sei.
Gegenüber dem Charakter des von Ludwig und Otis placierten Ein-
schnitts, als Grenze eben der bei ihnen benachbarten beiden Großteile
bzw. Sektionen, hat die (methodisch ebenso anzufechtende) traditio-
nelle Werkfuge eine ungleich größere Erschließungskraft. Nach der
Marsyasgeschichte (met. 6,382-400), diese nicht als Teil eines Teils, son-
dern als Ausführung eines Themas verstanden, beginnt mit mel. 6,421
etwas Neues, nicht im Sinn einer Sektion mit einer bestimmten Vers-
summe, mit Anfangs- und Schlußvers, sondern in dem einer Themenfü-
gung, die zwar nicht gänzlich neu ist, aber in ihrer Intensität eine Neue-
rung bedeutet und von nun an die Metamorphosen derart prägt, daß sich
das Folgende insgesamt vom Vorangegangenen unterscheidet. Die
Konstellation Gott-Mensch tritt zurück, die Konstellation Mensch-
Mensch wird dominant. In diesem Sinn eines Wechsels der dominanten
Thematik haben die Metamorphosen zwei Teile. Die ,Ausnahmen4 sind
keine Ausnahmen, weil nicht ein Aufbau aus Versblöcken postuliert
wird, die je ausschließlich einem einzigen Thema gelten. Vielmehr ge-
hören zu zwei benachbarten thematischen Dominanzphasen und dem
Übergang zwischen ihnen Phänomene wie Vorbereitung und Erinne-
rung, Verdichtung und Ausdünnung, Verwebung und Assimilation von
Themen.
Die Gegenläufigkeit gott-menschlicher9 und zwischenmenschlicher
Liebesgeschichten ist eine besonders evidente Illustration, ebenso die
von göttlicher und menschlicher Rache.1(1 So ist die große Tereus-Philo-
das sich Vico bezieht, ist die theologia tripartita, die nun universalhistorisch ausgelegt
wird: „tempo oscuro, ch’e l’etä degli dei“ (oder „storia poetica degli dei“, eine „teogo-
nia naturale“, erzählt von „poeti teologi“), „quindi tempo favoloso, ch’e l’etä degli
eroi“ (oder „storie vere degli eroi“, die homerischen Gedichte als Schatzhäuser), „e
finalmente tempo istorico, ch’e l’etä degli uomini ehe dicevan gli egizi“. Vicos Schema
ist 18. Jahrhundert, nicht antik. Vgl. Auerbach (1932), Vico und Herder, bes. S.227-
229. Zu Vicos Umgang mit Quellen vgl. Auerbach, Gesammelte Aufsätze, S.322:
„[. . .] auch Kontaminationen fremden Gedankens mit dem, was Vico selbst dabei ein-
gefallen ist und was er nun seinem Gewährsmann andichtet - so daß er Interpretationen
antiker Stellen gibt, von denen er längst vergessen hat, daß es seine eigenen Interpreta-
tionen oder Folgerungen sind.“
9 Vgl. o., bes. S. 105ff.
10 Götterliebe nur einmal in Buch 6: Boreas und Orithyia (s.u.), dann erst wieder, von
anderthalb Versen für Liber und Ariadne in Buch 8 abgesehen {met. 8,176f.: „desertae
et multa querenti / amplexus et opem Liber tulit“), im Orpheusbuch (vgl. o. S. 106f.).
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften