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Schmidt, Ernst A.; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1991, 2. Abhandlung): Ovids poetische Menschenwelt: die Metamorphosen als Metapher und Symphonie ; vorgetragen am 3. Juni 1989 — Heidelberg: Winter, 1991

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https://doi.org/10.11588/diglit.48162#0128
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Ernst A. Schmidt

Historie, sondern) in die Welt des Romans16, nicht von einer Weltzeit in
die andere, sondern von einer Welt in eine andere; das Weltbild ändert
sich. Es ist kein Zufall, daß der große Seesturm (ohne Götter!) im elften
Metamorphosenbuch steht (met. ff,478-572) und es in den ersten sechs
Büchern Seesturm nicht gab und die Geschichte der tyrrhenischen See-
räuber nicht Sturm und Wellen, sondern den Gott Dionysos wirken ließ.
§ 29 Liebe in der Menschenwelt
Die erste Geschichte von der Liebe zweier Menschen zueinander („ex
aequo [. . .] ardebant [...] ambo“)17 steht als Vorläufer weit vor den
thematisch verwandten Erzählungen, nämlich im vierten Buch (met.
4,55-166): Pyramus und Thisbe, ein jugendliches Liebespaar, das sich,
motivisch mit Deucalion und Pyrrha, mit Cadmus und Harmonia ver-
eint, zu Philemon und Baucis wandeln wird. Diese erste menschliche
Liebesgeschichte, stilisiert nach Komödie und Roman18, präludiert im
weiteren Sinn allen späteren Erzählungen zwischenmenschlicher Liebe,
im engeren Sinn den Geschichten gegenseitiger, erwiderter Liebe, dem
Geschick von Liebes- und Ehepaaren: Cadmus und Harmonia (met.
4,563-603), Cephalus und Procris (met. 7,690ff.), Philemon und Baucis
(met. 8,616-724), Orpheus und Eurydice (met. 10,1 ff.), Ceyx und Al-
cyone (met. ll,410ff.), Geschichten mit romanhaften Elementen, teils
geradezu Novellen, teils dem alexandrinischen Epyllion nahestehend
(insbes. Kallimachos’ Hekale). Als eine solche Erzählung stehen Pyra-
mus und Thisbe in thematischer und kompositioneller Nachbarschaft
zu den ersten Geschichten weiblichen Liebesverlangens. Echo
16 Eine Überspitzung, um die Richtung der Verschiebung anzuzeigen. Weltbild und Stil-
haltung von „the modernized and ,humanized‘ mythology of neoteric and Alexandrian
poetry“ (so Otis, 19702 = 19661, Ovid, S. 166 zu den menschlichen Liebesgeschichten)
sollen gerade nicht geleugnet, sondern eingeschlossen sein. Vgl. unten mit Anm. 18.
Vgl. ferner Anderson (1963), Multiple Change, der S. 10 die Geschichte von ProCris und
Cephalus eine „elaborate romance“ nennt.
17 Met. 4,62. - Vgl. Anderson (1963), Multiple Change, S. 10: „The first story that Ovid
recounts of mutual love among humans.“
18 Vgl. Holzberg (1988), Ovids ,Babyloniaka‘. Ich stimme nicht Holzbergs Auffassung zu,
daß Ovids Pyramus-und-Thisbe-Erzählung als „eine zur äußersten Absurdität gestei-
gerte Parodie einer Liebesgeschichte“ „auf gar keinen Fall eine ernstzunehmende Lie-
bestragödie“ sei (S. 276), sondern halte im Gegenteil dafür, daß allein die humorvollen,
komischen und absurden Elemente die Einfühlung und Rührung des Lesers ermögli-
chen.
 
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