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Bucer, Martin; Stupperich, Robert [Hrsg.]; Neuser, Wilhelm H. [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Strohm, Christoph [Hrsg.]; Augustijn, Cornelis [Bearb.]; Kroon, Marijn de [Bearb.]
Martin Bucers Deutsche Schriften (Band 9,1): Religionsgespräche (1539 - 1541) — Gütersloh, 1995

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https://doi.org/10.11588/diglit.29835#0102
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VOM TAG ZU HAGENAW ZWEN SENDBRIEFE (1540)

muß die ursprüngliche Fassung ziemlich lange Zeit zuvor erschienen sein. Der
zweite lateinische Druck erwähnt auf dem Titelblatt: »Editae primum hoc Iunio«,
und es gibt keine Gründe, das hier erwähnte Datum in Frage zu stellen.

Was beabsichtigte Bucer mit diesem >irritabulum<, diesem Reizmittel? Es hatte ihn
in den letzten Monaten geärgert, daß das im Frankfurter Anstand versprochene
Religionsgespräch noch immer nicht zustande gekommen war. Es war ihm bekannt,
daß unter den katholischen Fürsten und Ständen eine Gruppe sich laut machte, in
der eine kriegerische Stimmung vorherrschte; eine schnelle Entscheidung mit Waf-
fengewalt empfehle sich, langwierige theologische Verhandlungen gefährdeten die
Einigkeit der katholischen Stände, die ohnehin in theologischer Elinsicht alles
andere als homogen waren. Angesichts dieser Entwicklungen, die sich ungünstig auf
theologische Beratungen auswirken müßten, bezweckte Bucer eine Stärkung des
Selbstbewußtseins der protestierenden Stände. Die von ihm gewählte Briefform bot
eine gute Möglichkeit, die törichte, kriegshetzerische Sprache des Dechanten mit
den besonnenen, realitätsbezogenen Erwägungen des Kanonikers zu kontrastieren.

Eine Art von Beweisführung steht im Mittelpunkt: Der gesunde Menschenver-
stand rate angesichts der Machtposition des Schmalkaldischen Bundes, des allge-
mein, auch unter Katholiken, grassierenden Pfaffenhasses und der Unsicherheit
eines Kriegsausganges überhaupt von Intransigenz ab. Zwei Begriffe stehen im Vor-
dergrund: die dringend notwendige reformatio der Kirche als Endziel und das
Nationalkonzil oder die Nationalsammlung7 als Mittel zu diesem Ziel. Die theologi-
schen Verhandlungen zwischen den Ständen und ihren Theologen werden als Teil
dieser konziliaren Beratungen gedacht. Man kann die Schrift charakterisieren als
eine gute, flüssig geschriebene Propagandaschrift, ihrer Art nach eine Eintagsfliege,
dessen Autor ausgezeichnete Kenntnisse der politischen und theologischen Lage
zeigte8.

Die Schrift wurde, den Editionen nach zu urteilen, positiv aufgenommen. Es
erschien sehr schnell ein einigermaßen korrigierter und verschönerter Neudruck9 .

7. s. für >Nationalversammlung< die sorgfältige Studie von E. Laubach: »Nationalversammlung«
im 16. Jahrhundert. Zu Inhalt und Funktion eines politischen Begriffes. In: Mitteilungen des öster-
reichischen Staatsarchivs 38. 1985. S. 1-48. Bezüglich B. teilt er mit, daß dieser in seinen Briefen an
den Landgrafen in dieser Zeit »ohne erkennbare Unterscheidung »Nationalversammlung«,
»Reichsversammlung« oder »Nationalkonzil« verwendet«; S. 28. Dieser Befund ist durchaus mit
B.s Sprachgebrauch in dieser Schrift und in Per quos steterit im Einklang; s. z.B. S. 235, Z. 16.

8. Charakteristisch ist, daß B. die Konzilienedition Crabbes schon studiert hatte; s. S. 131, Z. 1
und die dortige Anmerkung.

9. DV 16 erweckt den Eindruck, der Druck B, den wir als Neudruck sehen, sei als Erstdruck

anzusehen, offensichtlich aufgrund der Mitteilung auf der Titelseite „Editae primum hoc Iunio

M.D.XL ...“. R. Bodenmann, S. 749, urteilt: »probablement le princeps«. B kann aber der Erst-

druck nicht sein. Er hat eine bessere Interpunktion, eine bessere Aufteilung in Absätzen und man-

che bessere oder bequemere Lesarten; s. S. 109, Z. 14, Anm. b), Z. 15, Anm. c); S. 115, Z. 18, Anm.

i); S. 121, Z. 4, Anm. k)-k), Z. 27, Anm. m); S. 123, Z. 2, Anm. n), Z. 10-11, Anm. o); S. 125, Z.

15, Anm. q); S. 127, Z. 6, Anm. r), Z. 25, Anm. t); S. 133, Z. 16, Anm. x). Einmal nimmt er eine
inhaltliche Korrektur vor; s. S. 143, Z. 17, Anm. c), wo B. mit >tui< aus der Rolle gefallen war.
 
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