Dieser Schalldeckel verschwand nach 1800 und mit ihm die Inschrift, vielleicht infolge
der Aufklärung, die die Legende ablehnte, wie es auch Bodmann tat. Werner datiert
und beschreibt die Kanzel etwas genauer: „Sie gleicht einem alten Ambon, wie man
in den ältesten christlichen Kirchen zu sehen pflegt. Der zeitliche Plebanus der hohen
Domkirche mußte ehemals auf Charfreitag, Morgens um sechs Uhr, und alle Qua-
tember auf derselben eine Predigt halten.“
(Bei Gudenus: jeweils Montags nach Quatember).
Bourdon. — Gudenus II S. 845. — Werner I S. 284 f. — Schaab II S. 137. — Kdm. Dom S. 220. — A
632 Westchor Atzmann
Im Westchor stand (wohl zwischen den Chorstühlen) eine steinerne Figur in Gestalt
eines Diakons, der ein Buch in den Händen hielt. Bourdon nennt diese Figur, wie es
am Mittelrhein üblich ist, einen Atzmann. Auf dem hinteren Saum seiner Dalmatik
stand unten (oder abwärts-deorsum) :
condignas superis cantu persolvite laudes
SÖürbigeS £ob fpenbet ben Jhimmlifchen burch ben ©efang!
Ob dieser Vers eine Neuschöpfung oder von anderer Stelle entlehnt ist, konnte nicht
ermittelt werden. Aus dem Inhalt des Spruches kann man entnehmen, daß der Atz-
mann zum Chordienst, nicht zur Verlesung von Epistel oder Evangelium diente. Wolf-
gang Stammler1 deutet das Wort Atzmann als Kobold. 1470 kommen in Frankfurt
an einer städtischen Uhr „Atzmänner“ vor, also wohl tragende Figuren. Der Ausdruck
Atzmann-Kobold könnte von der gebückten Haltung von Tragefiguren kommen. Ich
glaube jedoch nicht, daß der Mainzer Atzmann gebückt dargestellt war, da sich
einmal der Subdiakon beim Halten des Evangeliums oder anderer Bücher nicht zu
bücken hat. Vielmehr wird das Buch nicht auf dem Rücken, sondern vor der Brust
gehalten. Außerdem sind die erhaltenen Atzmänner unserer Gegend immer gerade
aufgerichtet.
Vielleicht ist diese Atzmannfigur eine Schöpfung des Naumburger Meisters gewesen,
der ja durch die Errichtung der Lettner an der Ausstattung des Westchors beteiligt
war und von dessen Schule im Naumburger Dom noch eine solche Figur vorhanden ist.
Bourdon. — Fr. Falk, Der „Atzmann“ in mittelrheinischen Kirchen, in: Gesch. Bl. I (1884) Sp. 12. — Otto
Schmitt in: Reallexikon zur deutschen Kunstgeschichte I (Stuttgart 1937) Sp. 1220. —
1 in Gießener Beiträge zur deutschen Philologie. LX. Volkskundliche Ernte (Gießen 1938) S. 193 f. A
633 Seitenkapelle Unter der hl. Wilgefortis
In der Barbarakapelle oder vor ihr im nördlichen Seitensschiff (Bourdon). Das
wundertätige und wohltätige Bildnis der heiligen Wilgefortis im Dome:
Sanela Wilgefortis Germanis Unkumer dicta / Virgo regis portu galiae filia / pro
Chrislianae religionis j pudicitiae defensione decertans, cum a Christo sponso / suo
deformari rogasset, ne ab Amasio ad nuptias / expeteretur, subito Uli salis promissa
barba / exerevil in cruce, meruit obtinere gloriosum / martprij triumphum Martprolog:
roman: ita 26 Juli]
Sie heilige iffiilgefortiS, bei ben ©eutfehen ÄümmerniS genannt, eine Sungfrau unb Tochter beS ÄönigS
von Portugal, erbat von ihrem Bräutigam QthriÜuS, als fie für bie chritfliche Religion unb ihre Äeufchheit
fämpfte, bafj fie verunstaltet werbe, um nicht von SlmafiuS jur ^ochjeit geführt ui werben. SllSbalb wuchs
ihr am Äreuj ein langer 35art unb fo verbleute fie ben glorreichen Triumph beS iOlartpriumS ju erlangen.
So berichtet baS romifdje tOlartprologium unter bem 26. Sulu
334
der Aufklärung, die die Legende ablehnte, wie es auch Bodmann tat. Werner datiert
und beschreibt die Kanzel etwas genauer: „Sie gleicht einem alten Ambon, wie man
in den ältesten christlichen Kirchen zu sehen pflegt. Der zeitliche Plebanus der hohen
Domkirche mußte ehemals auf Charfreitag, Morgens um sechs Uhr, und alle Qua-
tember auf derselben eine Predigt halten.“
(Bei Gudenus: jeweils Montags nach Quatember).
Bourdon. — Gudenus II S. 845. — Werner I S. 284 f. — Schaab II S. 137. — Kdm. Dom S. 220. — A
632 Westchor Atzmann
Im Westchor stand (wohl zwischen den Chorstühlen) eine steinerne Figur in Gestalt
eines Diakons, der ein Buch in den Händen hielt. Bourdon nennt diese Figur, wie es
am Mittelrhein üblich ist, einen Atzmann. Auf dem hinteren Saum seiner Dalmatik
stand unten (oder abwärts-deorsum) :
condignas superis cantu persolvite laudes
SÖürbigeS £ob fpenbet ben Jhimmlifchen burch ben ©efang!
Ob dieser Vers eine Neuschöpfung oder von anderer Stelle entlehnt ist, konnte nicht
ermittelt werden. Aus dem Inhalt des Spruches kann man entnehmen, daß der Atz-
mann zum Chordienst, nicht zur Verlesung von Epistel oder Evangelium diente. Wolf-
gang Stammler1 deutet das Wort Atzmann als Kobold. 1470 kommen in Frankfurt
an einer städtischen Uhr „Atzmänner“ vor, also wohl tragende Figuren. Der Ausdruck
Atzmann-Kobold könnte von der gebückten Haltung von Tragefiguren kommen. Ich
glaube jedoch nicht, daß der Mainzer Atzmann gebückt dargestellt war, da sich
einmal der Subdiakon beim Halten des Evangeliums oder anderer Bücher nicht zu
bücken hat. Vielmehr wird das Buch nicht auf dem Rücken, sondern vor der Brust
gehalten. Außerdem sind die erhaltenen Atzmänner unserer Gegend immer gerade
aufgerichtet.
Vielleicht ist diese Atzmannfigur eine Schöpfung des Naumburger Meisters gewesen,
der ja durch die Errichtung der Lettner an der Ausstattung des Westchors beteiligt
war und von dessen Schule im Naumburger Dom noch eine solche Figur vorhanden ist.
Bourdon. — Fr. Falk, Der „Atzmann“ in mittelrheinischen Kirchen, in: Gesch. Bl. I (1884) Sp. 12. — Otto
Schmitt in: Reallexikon zur deutschen Kunstgeschichte I (Stuttgart 1937) Sp. 1220. —
1 in Gießener Beiträge zur deutschen Philologie. LX. Volkskundliche Ernte (Gießen 1938) S. 193 f. A
633 Seitenkapelle Unter der hl. Wilgefortis
In der Barbarakapelle oder vor ihr im nördlichen Seitensschiff (Bourdon). Das
wundertätige und wohltätige Bildnis der heiligen Wilgefortis im Dome:
Sanela Wilgefortis Germanis Unkumer dicta / Virgo regis portu galiae filia / pro
Chrislianae religionis j pudicitiae defensione decertans, cum a Christo sponso / suo
deformari rogasset, ne ab Amasio ad nuptias / expeteretur, subito Uli salis promissa
barba / exerevil in cruce, meruit obtinere gloriosum / martprij triumphum Martprolog:
roman: ita 26 Juli]
Sie heilige iffiilgefortiS, bei ben ©eutfehen ÄümmerniS genannt, eine Sungfrau unb Tochter beS ÄönigS
von Portugal, erbat von ihrem Bräutigam QthriÜuS, als fie für bie chritfliche Religion unb ihre Äeufchheit
fämpfte, bafj fie verunstaltet werbe, um nicht von SlmafiuS jur ^ochjeit geführt ui werben. SllSbalb wuchs
ihr am Äreuj ein langer 35art unb fo verbleute fie ben glorreichen Triumph beS iOlartpriumS ju erlangen.
So berichtet baS romifdje tOlartprologium unter bem 26. Sulu
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