Wie die Reformation das ehemals bedeutende Stift, das lange Zeit im Mittelpunkt geistigen, künstleri-
schen und politischen Lebens gestanden hatte, auf die Größenordnung einer drittrangigen geistlichen
Anstalt auf dem Lande reduzierte, so hat der Krieg die Stadt, die im hessischen Bereich zu den fortschritt-
lichsten und kapitalstärksten gehört hatte, auf den Stand einer Landstadt zurückgeworfen, die sich allen-
falls durch die Anwesenheit des Oberamtmanns und der Stiftsherren in ihrer gesellschaftlichen Struktur
von ähnlichen Gemeinden der hessischen Nachbarschaft unterschied. Die wirtschaftliche Vorrangstellung
ging völlig verloren.
Die Fritzlarer Begräbnisstätten
Der älteste, in einigen Fällen bis zum Jahre 1730 benutzte Begräbnisplatz der Fritzlarer Bürgerschaft war
der Friedhof an der Stiftskirche, die zugleich Pfarrkirche war. Er bedeckte den größten Teil des heutigen
Dom- und Dr.-Jestädt-Platzes, also das unbebaute Gebiet westlich und nördlich der Kirche, die nur auf
schmalen Wegen zwischen den Gräbern hindurch zu erreichen war. Seit dem Beginn des 18. Jahrhunderts
erlaubte es der mit Steinplatten belegte Katzmannsche Weg, daß man den Kirchhof auch bei schlechtem
Wetter trockenen Fußes überschreiten konnte. Er diente in erster Linie Prozessionen und Umgängen
und war von einem Mitglied der Ratsfamilie Katzmann, Konrad Heinrich (f 1744) gestiftet worden,
der an der Nordseite des „oberen“, d.h. des höhergelegenen westlichen Teils des Friedhofs im Jahre 1718
sein noch vorhandenes Haus mit wappengeschmücktem Portal hatte erbauen lassen. Der Weg verband
den Eingang der Vorhalle der Stiftskirche mit der Johanniskirche, zuerst anj südlichen Rande des „oberen“
Friedhofs hinziehend und ihn dann überquerend. Von da wendete er sich nach Osten, verlief am nörd-
lichen Rande des „unteren“ Friedhofs entlang und mündete am Chor der Kirche vorbei an der „Heiligen
Ecke“ in den Kreuzgang.J)
Mit dem Totenhof in unmittelbarem Zusammenhang stand das Beinhaus oder der Kerner, der den
südlichen Abschluß eines Gebäudetraktes bildete, der in einem Bogen vom Rathaus ausgehend die beiden
Teile des Friedhofs schied.* 2) Die Reste des Fundamentes wurden 1751 entfernt.3)
Erhalten ist dagegen wenigstens der untere Teil der vom Dekan Nikolaus von der Krae dem Jüngeren
gestifteten Totenleuchte (Nr. 41). Sie war für den Friedhof bestimmt und scheint frei gestanden zu haben.
Der genaue Standort ist unbekannt.
Der Platz diente auch Zwecken, die uns heute unvereinbar mit der Bestimmung eines Totenhofes
erscheinen, aber mit dem beschränkten Raum innerhalb mittelalterlicher Städte zu erklären sind. So
wurde das Gericht vor dem Rathaus teilweise auf dem Friedhof gehegt, dann aber diente er auch zum
Aufstellen von Verkaufsbuden, die der enge Markt nicht fassen konnte; ihre Entfernung wurde auf eine
entsprechende Beschwerde hin vom Erzbischof im Jahre 1601 angeordnet.
Vom Aussehen des Bereiches kann man sich heute kaum eine Vorstellung machen. Nur ein geringer
Teil der Beigesetzten wird überhaupt ein Grabdenkmal aus dauerhaftem Material bekommen haben.
Die Reste der Toten gelangten bei den - besonders in Zeiten von Epidemien - schnell aufeinanderfolgen-
den Neubelegungen ins Beinhaus und die Erinnerung an sie ging der Nachwelt verloren. Gewiß gab es
bevorzugte Plätze, die von der Wiederbelegung ausgenommen waren, nur hier konnte eine Grabplatte
benutzt werden. Epitaphien dagegen ließen sich unabhängig von der Grabstätte und der Übertragung
in das Beinhaus an der Kirchenwand aufstellen oder aufhängen. So wird man sich die Nordwand der
Stiftskirche, die Wände des Kemers, eventuell sogar die Südwand der Johanniskirche mit Epitaphien
bedeckt vorstellen müssen, ähnlich wie es in geringerem Maße noch bei der Minoritenkirche der Fall ist.
Besonders die Stilperiode der Renaissance bevorzugte diese Art der Erstellung von Grabdenkmälern. Die
wenigen Andachtsepitaphien, die heute im Kreuzgang und im Grashof stehen, sind der Rest von gewiß
mehreren Hundert gleicher und ähnlicher Art, die bei der Planierung des Friedhofs, dem Abbruch von
Beinhaus und Johanniskirche und der romanischen Wiederherstellung der Nordwand der Stiftskirche
verschwanden.
In der Stiftskirche sind eine Reihe von verschiedenen Örtlichkeiten zu unterscheiden, die zu Begräb-
nissen gedient haben. Sehr genau sind wir nicht darüber unterrichtet, hier müßten die Bestände des Stifts-
archivs weitere Aufklärung geben.
x) Falckenheiner II, S. 51 u. 59, Anm. 1.
2) Siehe den Stadtplan im Anhang zu Demandt.
3) B. u. K., S. 73, Anm. 5.
XIII
schen und politischen Lebens gestanden hatte, auf die Größenordnung einer drittrangigen geistlichen
Anstalt auf dem Lande reduzierte, so hat der Krieg die Stadt, die im hessischen Bereich zu den fortschritt-
lichsten und kapitalstärksten gehört hatte, auf den Stand einer Landstadt zurückgeworfen, die sich allen-
falls durch die Anwesenheit des Oberamtmanns und der Stiftsherren in ihrer gesellschaftlichen Struktur
von ähnlichen Gemeinden der hessischen Nachbarschaft unterschied. Die wirtschaftliche Vorrangstellung
ging völlig verloren.
Die Fritzlarer Begräbnisstätten
Der älteste, in einigen Fällen bis zum Jahre 1730 benutzte Begräbnisplatz der Fritzlarer Bürgerschaft war
der Friedhof an der Stiftskirche, die zugleich Pfarrkirche war. Er bedeckte den größten Teil des heutigen
Dom- und Dr.-Jestädt-Platzes, also das unbebaute Gebiet westlich und nördlich der Kirche, die nur auf
schmalen Wegen zwischen den Gräbern hindurch zu erreichen war. Seit dem Beginn des 18. Jahrhunderts
erlaubte es der mit Steinplatten belegte Katzmannsche Weg, daß man den Kirchhof auch bei schlechtem
Wetter trockenen Fußes überschreiten konnte. Er diente in erster Linie Prozessionen und Umgängen
und war von einem Mitglied der Ratsfamilie Katzmann, Konrad Heinrich (f 1744) gestiftet worden,
der an der Nordseite des „oberen“, d.h. des höhergelegenen westlichen Teils des Friedhofs im Jahre 1718
sein noch vorhandenes Haus mit wappengeschmücktem Portal hatte erbauen lassen. Der Weg verband
den Eingang der Vorhalle der Stiftskirche mit der Johanniskirche, zuerst anj südlichen Rande des „oberen“
Friedhofs hinziehend und ihn dann überquerend. Von da wendete er sich nach Osten, verlief am nörd-
lichen Rande des „unteren“ Friedhofs entlang und mündete am Chor der Kirche vorbei an der „Heiligen
Ecke“ in den Kreuzgang.J)
Mit dem Totenhof in unmittelbarem Zusammenhang stand das Beinhaus oder der Kerner, der den
südlichen Abschluß eines Gebäudetraktes bildete, der in einem Bogen vom Rathaus ausgehend die beiden
Teile des Friedhofs schied.* 2) Die Reste des Fundamentes wurden 1751 entfernt.3)
Erhalten ist dagegen wenigstens der untere Teil der vom Dekan Nikolaus von der Krae dem Jüngeren
gestifteten Totenleuchte (Nr. 41). Sie war für den Friedhof bestimmt und scheint frei gestanden zu haben.
Der genaue Standort ist unbekannt.
Der Platz diente auch Zwecken, die uns heute unvereinbar mit der Bestimmung eines Totenhofes
erscheinen, aber mit dem beschränkten Raum innerhalb mittelalterlicher Städte zu erklären sind. So
wurde das Gericht vor dem Rathaus teilweise auf dem Friedhof gehegt, dann aber diente er auch zum
Aufstellen von Verkaufsbuden, die der enge Markt nicht fassen konnte; ihre Entfernung wurde auf eine
entsprechende Beschwerde hin vom Erzbischof im Jahre 1601 angeordnet.
Vom Aussehen des Bereiches kann man sich heute kaum eine Vorstellung machen. Nur ein geringer
Teil der Beigesetzten wird überhaupt ein Grabdenkmal aus dauerhaftem Material bekommen haben.
Die Reste der Toten gelangten bei den - besonders in Zeiten von Epidemien - schnell aufeinanderfolgen-
den Neubelegungen ins Beinhaus und die Erinnerung an sie ging der Nachwelt verloren. Gewiß gab es
bevorzugte Plätze, die von der Wiederbelegung ausgenommen waren, nur hier konnte eine Grabplatte
benutzt werden. Epitaphien dagegen ließen sich unabhängig von der Grabstätte und der Übertragung
in das Beinhaus an der Kirchenwand aufstellen oder aufhängen. So wird man sich die Nordwand der
Stiftskirche, die Wände des Kemers, eventuell sogar die Südwand der Johanniskirche mit Epitaphien
bedeckt vorstellen müssen, ähnlich wie es in geringerem Maße noch bei der Minoritenkirche der Fall ist.
Besonders die Stilperiode der Renaissance bevorzugte diese Art der Erstellung von Grabdenkmälern. Die
wenigen Andachtsepitaphien, die heute im Kreuzgang und im Grashof stehen, sind der Rest von gewiß
mehreren Hundert gleicher und ähnlicher Art, die bei der Planierung des Friedhofs, dem Abbruch von
Beinhaus und Johanniskirche und der romanischen Wiederherstellung der Nordwand der Stiftskirche
verschwanden.
In der Stiftskirche sind eine Reihe von verschiedenen Örtlichkeiten zu unterscheiden, die zu Begräb-
nissen gedient haben. Sehr genau sind wir nicht darüber unterrichtet, hier müßten die Bestände des Stifts-
archivs weitere Aufklärung geben.
x) Falckenheiner II, S. 51 u. 59, Anm. 1.
2) Siehe den Stadtplan im Anhang zu Demandt.
3) B. u. K., S. 73, Anm. 5.
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